Stefan Saxberg (52) aus dem kleinen schwedischen Ort Grangärde hat nur noch eine Hoffnung: Dass im Ausland Druck auf die eigene Regierung gemacht wird, die sich in der Corona-Krise nur noch mit Lügen und Beschönigungen über Wasser halten könne. Die Vorwürfe des Schweden wiegen schwer, doch offenbar rumort es im Land gewaltig. Jetzt gehen selbst Politiker gegen die Corona-Strategie der Regierung auf die Barrikaden.
Saxberg hat den BLICK-Artikel gelesen, dass Schwedens Covid-19-Alleingang gescheitert ist. Dem könne er nicht genug beipflichten, schreibt der Schwede in einem langen Brief an BLICK. Saxberg: «Wir sind viele hier in Schweden, die besorgt darüber sind, wie die schwedische Regierung und die Behörden mit der Situation von Covid-19 umgehen.»
Am Donnerstag hat auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Schweden als Corona-Risikoland eingestuft - neben Armenien, Albanien, der Ukraine und Kasachstan. Stockholm reagierte empört und sieht sich missverstanden. Doch auch im Land selber wird die Luft für die Regierung und ihre Corona-Strategie immer dünner. Das anfangs hohe Vertrauen der Bevölkerung in Politiker und Institutionen schwindet rasant.
«Alte und Schwache geopfert»
«Die schwedische Regierung und Folkhälsomyndigheten (Gesundheitsministerium) haben mit ihrer Covid-19-Strategie ältere und schwache Menschen geopfert», schreibt Saxberg.
Im Land gebe es schon eine neue Redewendung, die allen geläufig sei: «Die Regierung hat mit dem Virus einen Frühlingsputz unter den älteren und schwachen Menschen durchgeführt.»
«Viele, viele, viele hier wollen die Verantwortlichen dafür hinter Gitter sehen», fährt Saxberg fort. Konkret erwähnt er den Staatsepidemiologen Anders Tegnell (64) und Johan Carlson (66), Generaldirektor des Gesundheitsministeriums. «Wir hoffen», so Saxberg, «sie müssen sich eines Tages dafür vor einem europäischen Gericht verantworten.»
Auch Parteichefs rebellieren gegen Regierung
Selbst führende Politiker im Land bezichtigen die Regierung der Lüge. So habe Aussenministerin Ann Linde (58) in einem Interview mit der «Deutschen Welle» beteuert, dass alle in Schweden, die einen Corona-Test wünschen, diesen auch haben können.
Die Wahrheit sei eine andere. Bloss in einer von Schwedens 25 Provinzen stehen genügend Tests zur Verfügung. Daher legten gleich drei Parteiführer Beschwerde bei der Verfassungskammer ein - Ulf Kristersson von der Moderaten Sammlungspartei, Ebba Busch von den Christdemokraten und Jimmy Åkesson von den Schwedendemokraten. Auf Facebook warf Kristersson der Aussenministerin «Arroganz und Selbstgefälligkeit» vor. «Schweden muss nun die Strategie neu organisieren, um die Ausbreitung der Infektion zu stoppen und die Wirtschaft zu retten», fordert der ehemalige Oppositionsführer.
Premier Stefan Lövfen (62) stärkt seiner Aussenministerin zunächst den Rücken. Es sei gut, dass sie das Land im Ausland positiv zu repräsentieren versuche. Doch auch vom Versprechen der schwedischen Sozialministerin Lena Hallengren (41), wonach das Land bald 100'000 Tests pro Tag durchführen kann, bleibt das Land weit entfernt. Sogar in den USA werden mehr Menschen getestet als in Schweden, berichtet «Business Insider».
Nachbarn sperren Grenzen für Schweden
Unterdessen haben auch die Nachbarn Dänemark, Finnland und Norwegen ihre Grenzen für Schweden geschlossen. «Ich verstehe sie vollkommen», schreibt Saxberg, «und unterstütze sie zu 100 Prozent.»
Die «New York Times» übrigens nennt Schweden diesbezüglich bereits einen «neuen Pariastaat» - eine Bezeichnung, die von der Zeitung sonst nur für Regimes wie Nordkorea oder Myanmar verwendet wird.
«Schweden erprobt einen neuen Status: Pariastaat», schreibt die Zeitung. «Aus Furcht vor dem laxen Vorgehen des Landes bei der Bekämpfung des Coronavirus haben Schwedens skandinavische Nachbarn alle ihre Grenzen für Schweden geschlossen.»
«Schweizer, reist nicht nach Schweden»
Saxberg warnt Schweizer, diesen Sommer auf keinen Fall nach Schweden zu reisen. «Das ist zu riskant. Sehr wahrscheinlich würden Sie das Virus auffangen, wenn sie kommen, und es nachher zurück nach Hause bringen.»
So sei auch Reisen im ganzen Land wieder ohne Einschränkungen erlaubt. «Dies, obschon die Regierung hier in Schweden überhaupt keine Kontrolle über die Coronavirus-Situation hat.» In diversen Gebieten seien die Infektionszahlen sehr hoch. Besonders schlimm sei die Lage in der nördlichen Provinz Norbotten und den dortigen Ortschaften Gällivare und Kalix.
Saxberg spricht von «verrückten, beängstigenden und unverantwortlichen Entscheidungen» der schwedischen Regierung. Diese gerät jetzt wegen des Corona-Alleingangs offenbar auch im eigenen Land unter wachsenden Druck. Auch die eigenen Medien würden die Augen schliessen, bedauert Saxberg.