Soldaten in ukrainischer Uniform ballern herum, während eine Frau mit einem Kind im Auto sie panisch anfleht, ihr nichts anzutun. Ein Video zeichnet die furchterregende Szene auf.
Anfang der Woche haben kremlfreundliche Medien und Telegramkanäle angefangen, die Aufnahme zu verbreiten. Das Ziel: Aufzeigen, wie russischsprechende Einwohner in der Ukraine von ihrem eigenen Militär schikaniert und bedroht werden. Kurze Zeit später stellt sich heraus: Das Video ist eine plumpe Inszenierung.
Um was gehts im Video?
Zu Beginn wird ein Auto von einem Wagen überholt, auf dem die ukrainische Flagge und ein weisses Kreuz prangen – Erkennungszeichen von Wolodimir Selenskis (45) Truppen. Die Soldaten hupen und halten am Strassenrand an.
Im anderen Auto sitzen offenbar eine Frau und ein Kind – beide sind jedoch nicht zu sehen, nur ihre Stimmen sind zu hören. Die im Fahrzeug installierte Dashcam zeichnet die Szenen auf. Das Datum und die Uhrzeit zeigen den 24. März 2023, 12.17 Uhr an.
«Was ist das? Was passiert hier?», ruft die Frau nervös und versucht, ihr Kind zu beruhigen. Währenddessen läuft einer der uniformierten Männer zu ihrem Auto und fängt umgehend an, sie zu beschimpfen. «Du Abschaum, kennst du die Verkehrsregeln?», fragt er sie auf Ukrainisch. «Reden Sie nicht so mit mir», antwortet die Frau auf Russisch. Der Mann wirft ihr vor, eine «Ausrüstungskolonne» überholt und einen «seiner Männer fast angefahren» zu haben. Er bedroht die Frau und fordert sie auf, kein Russisch mit ihm zu sprechen, sondern die «Staatssprache» zu verwenden.
Dann fallen Schüsse. Die Frau schreit, dass sie ein kleines Kind im Auto habe und bittet den Soldaten, aufzuhören. Der Uniformierte kehrt zu seinem Auto zurück, wo sein Kollege wartet. Auf dem Weg dorthin gibt er weitere Schüsse aus seinem Gewehr ab. Während die Frau und das Kind weinen, steigen die Soldaten ins Auto und fahren fort.
Warum ist die Aufnahme ein Fake?
Analysten des Projekts GeoConfirmed konnten den Standort des Videos anhand der in den ersten Sekunden des Videos sichtbaren Strommasten und Bäume ermitteln. Ihnen zufolge wurde das Video in Makijiwka gedreht, einer Stadt in der Oblast Donezk, die seit 2014 von prorussischen Separatisten kontrolliert wird. Danach hatten sich andere User vor Ort begeben, um die Bäume nochmal zu fotografieren und die Annahme zu bestätigen. Die Frontlinie ist rund 30 Kilometer entfernt, wie das Portal Meduza schreibt. Es ist daher schwer vorstellbar, dass ein «Ukraine-Konvoi» mit entsprechenden Erkennungszeichen 30 Kilometer unbemerkt durch russisch besetztes Gebiet fährt und seine Zeit damit verbringt, einer Frau die Leviten zu lesen, weil sie «die Verkehrsregeln missachtet» habe.
- Ein weiterer Hinweis, dass es sich bei den Soldaten nicht um echte ukrainische Soldaten handelt, sind die Armbinden. Im Video sind diese gelb. Mittlerweile tragen Kiews Kämpfer aber vorwiegend grüne Armbinden.
Zudem hat die Ukraine die Verwendung von Dashcams bereits im März 2022 verboten, um Truppenbewegungen geheim zu halten. Autofahrer, die eine solche Cam führen, müssen mit happigen Geldstrafen rechnen. Doch die Frau im Clip scheint sich keine Sorgen zu machen, dass die Cam vom Militär entdeckt wird. Die Soldaten wiederum bedrohen Zivilisten und schiessen vor laufender Kamera, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Diese Umstände haben von Anfang an grosse Zweifel an der Echtheit der Aufnahme geweckt.
Ein weiteres Indiz ist das aufgemalte Kreuz. Das Kreuz, das ukrainische Soldaten auf ihren Fahrzeugen verwenden, unterscheidet sich von demjenigen im Video. Dieses ähnelt mehr einem Balkenkreuz – ein Erkennungszeichen der deutschen Nazis im Zweiten Weltkrieg. Das passt zum Kreml-Narrativ, das stets behauptet, das weisse Kreuz der Ukrainer sei eine Nachahmung der Streitkräfte Nazideutschlands.
Wie reagieren die Propagandisten?
«Die ‹Befreier› der ukrainischen Streitkräfte sprechen so mit ihren eigenen ukrainischen Bürgern. Stellt euch vor, diese ‹Befreier› würden auf die Krim, nach Mariupol, Donezk oder Luhansk kommen?», hatte der Telegram-Channel, «Zаpiski Veterana» (z. Dt. Notizen eines Veteranen), zunächst gepostet. Nachdem die Inszenierung jedoch aufgeflogen war, postete der Kriegs-Unterstützer: «Das Video ist ein Fake. Unsere Leute üben sehr krumm. Bei der Durchführung solcher Informationsoperationen müssen unsere Leute noch viel lernen.»
Das russische Aussenministerium hatte das Video ebenfalls auf Twitter gepostet. «Einmal ein Nazi, immer ein Nazi. Das ist die Art des Terrorismus, mit dem die Ukrainer leben. Werden Sie Zeuge, wie ukrainisches Militär eine Mutter und ihr Kind auf dem Rücksitz beschimpft, auf sie schiesst und sie ‹Schwein› und ‹Abschaum› nennt, nur weil sie Russisch spricht», hatte das Ministerium dazu gepostet. Mittlerweile wurde der Tweet gelöscht.