Türkei-Experte Christoph Ramm über verbotene Abstimmungspropaganda
«Ein Redeverbot hilft Erdogan»

Die türkische Regierung kocht vor Wut. Deutsche Städte haben es türkischen Ministern untersagt, Abstimmungspropaganda vor Landsleuten zu betreiben. Dafür könnte es in der Schweiz zu einem Auftritt eines Ministers kommen.
Publiziert: 07.03.2017 um 13:59 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:36 Uhr
Will noch mehr Macht: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an einer Abstimmungspropaganda in Istanbul.
Foto: AFP
Interview: Guido Felder

Zwischen Deutschland und der Türkei stehen die Zeichen auf Sturm. Die Städte Köln und Gaggenau verbieten – angeblich aus Sicherheitsgründen – türkischen Ministern, Propaganda für die Abstimmung vom 16. April zu betreiben. Stimmen die Türken dann der Einführung eines Präsidialsystems zu, erhält Präsident Recep Tayyip Erdogan noch mehr Macht. Die Türken reagieren auf das Redeverbot in Deutschland mit Protest sowie Hassreden. Christoph Ramm, Türkei-Experte an der Uni Bern, schätzt für BLICK die Lage ein.

Christoph Ramm, Türkei-Kenner an der Uni Bern.

BLICK: Herr Ramm, wie wird sich der Streit zwischen Deutschland und der Türkei entwickeln?
Christoph Ramm:
Die Stimmung wird voraussichtlich bis zum Referendum am 16. April aufgeheizt bleiben. Erdogan hat ein Interesse daran, die Polarisierung weiter am Kochen zu halten. Er hofft so auf mehr Stimmen der nationalistischen Wähler.

Erdogan sagte zum Redeverbot für türkische Minister in Deutschland: «Wenn ihr mich an der Tür stoppt und mich nicht sprechen lässt, werde ich die Welt aufmischen.» Was meint er damit? Kommt es zur Eskalation?
Es ist zwar alles möglich, ich gehe aber nicht davon aus. Denn die Türkei ist abhängig von den Kontakten in den Westen. Die Wirtschaft und der Tourismus sind am Boden. Erdogan braucht Europa auf mittlere Sicht. Er kann es sich nicht leisten, noch mehr Porzellan zu zerschlagen.

Aber seine Worte sind deutlich.
Es ist die Rhetorik eines Populisten. Seine Statements sind Wasser auf die Mühlen der Nationalisten.

Könnte er seine Drohung wahrmachen und die bisher zurückgehaltenen Flüchtlinge nach Europa schicken?
Erdogan droht schon seit langem damit, die Grenzen zu öffnen. Er hat es bisher nicht gemacht, eben, weil er Europa braucht.

Was halten Sie von den Auftrittsverboten für türkische Politiker in Deutschland?
In Deutschland gibt es rund drei Millionen Menschen türkischer Abstammung. Viele fühlen sich diskriminiert. Wenn deutsche Politiker für türkische Politiker Auftrittsverbote fordern, heizt das die Stimmung an. Erdogan kann so über die unterdrückte Meinungsfreiheit im Westen wettern und sich gleichzeitig selber als Demokrat verkaufen.

Also sollen Erdogan und seine Minister im Ausland Abstimmungspropaganda betreiben dürfen?
Das Problem ist nicht der Auftritt, sondern was gesagt wird. Es kommt vor, dass eine Veranstaltung als Kulturanlass angekündigt wird und dann überraschend ein Politiker auftritt. Das muss man genau beobachten. Wenn Hetze betrieben wird, muss man solche Veranstaltungen unterbinden. Wenn sachlich eine Meinung vertreten wird, geht das unter das Recht der freien Meinungsäusserung. Ein Verbot ist eher kontraproduktiv. Am besten, man macht nicht viel Aufhebens darüber.

Denken Sie, dass Erdogan auch wirklich nach Deutschland reisen wird?
Das ist gut möglich. Er ist ein Gefühlspolitiker, der die Situation ausnützen und zeigen kann: Ich biete der EU die Stirn. Ich glaube aber auch, dass auf diplomatischer Ebene – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – Verhandlungen laufen, um die Spannungen zu entschärfen.

Gibt es Anzeichen, dass es auch in der Schweiz zu politischen Anlässen kommt?
Mir ist nichts bekannt.

Wären die rund 120’000 Türken in der Schweiz für Erdogans Abstimmungspropaganda überhaupt interessant?
Die Schweiz ist nicht wirklich im Fokus von Erdogan, denn die Mehrheit der türkischen Staatsbürger in der Schweiz stimmt für die Opposition. Das zeigte sich bei den letzten Wahlen, als in der Schweiz die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker HDP am meisten Unterstützung erhielt. Es ist aber denkbar, dass ein Minister auftritt, um die Anhänger der konservativen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung AKP zu mobilisieren.

Was für ein Resultat prophezeien Sie für die Abstimmung am 16. April?
Die Umfragen sind sehr knapp. Es liegt beides drin.

Ist ein Sieg Erdogans nicht vorprogrammiert?
Nein. Die aggressive Stimmung beweist auch, dass er eine Niederlage nicht ausschliesst.

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