Terror-Anschlag von Nizza
«Der Zeitpunkt war aus Sicht des Attentäters perfekt»

Für Experten ist klar: Der Anschlag in Nizza trägt die Handschrift des IS und ihrer Sympathisanten. Vor Kurzem erst hatte die Terrormiliz zu Attentaten mit Fahrzeugen aufgerufen.
Publiziert: 15.07.2016 um 11:33 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 10:57 Uhr
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Terror vor dem Luxushotel Negresco.
Foto: Reuters/AFP
Lea Hartmann

Frankreich hatte aufgeatmet. Die Fussball-EM im Land war von Anschlägen verschont geblieben, auch die Tour de France verlief bisher durchgehend friedlich. Die Behörden glaubten die Terrorgefahr im Griff zu haben, weshalb Präsident François Hollande gestern mitteilte, den Ausnahmezustand im Land Ende Monat aufzuheben. 

Doch dann kam der Terror mit voller Wucht zurück. Nur wenige Stunden nach Hollandes Ankündigung – ausgerechnet am französischen Nationalfeiertag – erschüttert das LKW-Attentat in Nizza das Land. Erneut kommen Dutzende Menschen ums Leben. 

«Der Zeitpunkt war aus seiner Sicht perfekt»

Rolf Tophoven ist Leiter des Instituts für Krisenprävention, das Terrorismusforschung betreibt.
Foto: PHILIPPE ROSSIER

Der Zeitpunkt des Attentats zeuge von einer äusserst perfiden Taktik des oder der Terroristen, sagt der deutsche Terrorismus-Experte Rolf Tophoven. «Der Anschlag traf die Gesellschaft völlig unvorbereitet. Als man glaubte, die Gefahr gebannt zu haben, schlug der Täter zu. Der Zeitpunkt war aus seiner Sicht perfekt.»

Der Anschlag sei ein erneuter Schlag mitten ins Herz der offenen Gesellschaft, meint Tophoven. Wie bei den vergangenen Attentaten habe der Täter primär die französische Lebensqualität im Visier gehabt. Und diese – zumindest kurzfristig – massiv erschüttert.

IS rief zu Auto-Anschlägen auf

Dass der Attentäter als Tatwaffe dabei erneut ein Fahrzeug einsetzte, sei kein Zufall. Für Tophoven ist klar, dass der Anschlag die Handschrift des IS beziehungsweise seiner Sympathisanten trage. Grundsätzlich rate die Terrormiliz Anhängern und Sympathisanten aktuell, nicht mehr nach Syrien und in den Irak zu reisen, wo die Dschihadisten im Rückzug begriffen sind. «Stattdessen werden sie dazu animiert, in ihren Herkunftsländern zu töten.»

Ein IS-Sprecher habe zudem vor wenigen Wochen explizit dazu aufgerufen, «statt mit Kalaschnikows und Sprengstoffgürteln auch mit PKWs ‹Ungläubige› anzugreifen», sagt Tophoven. Auch Küchenmesser und Steine empfahl der Sprecher als Tatwaffen.

«Auch für Terroristen zählt Rationalität»

Albert A. Stahel war Professor für Strategische Studien an der ETH.
Foto: Keystone

Möglichst viele Menschen möglichst einfach töten – so lautet die grausame Devise der Dschihadisten. Albert A. Stahel, Sicherheitsexperte und ehemaliger ETH-Professor, sagt: «Auch für Terroristen zählt Rationalität. Solche Anschläge sind einfach und billig – das kommt Attentätern gelegen.»

Zudem lassen sich solche Attentäter, wie die Tragödie in Nizza gezeigt hat, kaum verhindern. Landesweit standen Tausende Polizisten und Soldaten während der Feierlichkeiten im Einsatz, es galt der Ausnahmezustand.

Stahel wirft den französischen Behörden Versagen im Kampf gegen den Terror vor. «Frankreich ist ein leichtes Ziel», sagt er. Die Gesellschaft sei gespalten, in den Banlieues, insbesondere bei Secondos aus den Maghrebstaaten, falle die Ideologie des IS teilweise auf äusserst fruchtbaren Boden. «Und die Geheimdienste haben keine Ahnung, sie wissen nicht, wer demnächst zuschlagen könnte.» Die Gefahr weiterer Anschläge sei in Frankreich deshalb unvermindert gross. «Es werden mit Sicherheit noch weitere Attentate das Land erschüttern», sagt Stahel.

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