Vor allem ältere Menschen drohen bei einer Infektion mit dem Coronavirus schwer zu erkranken. Wie neu veröffentlichte Zahlen zeigen, spielt jedoch auch der Body-Mass-Index eine grosse Rolle. Daten des National Audit & Research Centre (ICNARC) für Intensivmedizin zeigen laut «Daily Mail», dass drei Viertel der kritisch kranken Covid-19-Patienten in Grossbritannien übergewichtig oder fettleibig sind.
Auch eine Studie der New York University macht auf dieses Problem aufmerksam: Die Wissenschaftler untersuchten 4103 schwerkranke Covid-19-Patienten. Ihnen zufolge ist zwar das Alter der grösste Risikofaktor für eine schwere Erkrankung, aber Fettleibigkeit steht kurz danach an zweiter Stelle.
Bevölkerung soll sensibilisiert werden
Der Risikofaktor Fettleibigkeit und Übergewicht könnte mit eine Erklärung dafür sein, dass in einigen Ländern und Regionen anteilsmässig mehr Menschen am Coronavirus sterben als anderswo. Matt Capehorn, klinischer Leiter des Rotherham Institute for Obesity, eines britischen Fachzentrums für Gewichtsmanagement, hofft, dass dem Thema bei der öffentlichen Diskussion vermehrt Beachtung geschenkt wird. In Grossbritannien gelten etwa zwei Drittel der Erwachsenen als übergewichtig. Capehorn: «Wir haben täglich Gesundheitsbesprechungen im Fernsehen – wenn sie etwas in dieser Richtung sagen würden und selbst wenn die Hälfte der Bevölkerung das annehmen würde, würde das einen Unterschied machen.»
Ausgerechnet in der jetzigen Situation, bei der die Bewegungsfreiheit weltweit stark eingeschränkt ist und die Menschen zu Hause bleiben, setzen viele auch noch einige Kilos an. Das sollte bei einer allfälligen zweiten Corona-Welle nicht zum Verhängnis werden. Neil Ferguson, Epidemiologe und Professor für mathematische Biologie am Imperial College London, ruft dazu auf, Verantwortung für ihre eigene Gesundheit zu übernehmen: «Wir müssen unsere Risiken aus einer persönlichen Perspektive einschätzen.» Dabei dürfe das Fitwerden und Abnehmen nicht ausser Acht gelassen werden.
Fett lastet auf Atemwegen
Die Lungenfunktion wird bei Übergewicht auf vielfältige Art und Weise beeinträchtigt. Fettleibigkeit erschwert die Ausdehnung von Zwerchfell und Lunge, was die Sauerstoffversorgung lebenswichtiger Organe verringert. Es besteht auch die Gefahr, dass Bakterien und Pilze ungestört in der Lunge wachsen und zu einer Lungenentzündung führen.
Mit zunehmendem Gewicht nimmt die Belüftung der Lungen ab und das Risiko von Lungenkrankheiten zu.
Capehorn sagt, dass übergewichtige Menschen, die bereits an Schlafapnoe leiden, auf ihr Covid-19-Risiko aufmerksam gemacht werden sollten. Übergewichtige hätten aufgrund des Gewichts von zusätzlichem Fett, das auf den Atemwegen lastet, grössere Schwierigkeiten, ausreichend Sauerstoff zu bekommen. Dies habe zur Folge, dass sie häufiger künstlich beatmet werden müssten, wie Capehorn gegenüber dem Magazin «Good Health» sagt.
Fredrik Karpe, Professor für Stoffwechselmedizin an der Universität Oxford, erklärt in der «Sunday Times»: «Wenn Sie einen dicken Bauch haben und sich hinlegen, drückt das Gewicht Ihr Zwerchfell nach oben und verringert das Lungenvolumen.»
Italienische Ärzte fanden eine Methode, um übergewichtige Covid-19-Infizierte besser behandeln zu können. So lassen sich Komplikationen teilweise verringern, wenn man die Patienten mit dem Gesicht nach unten pflegt.
Problem spielte auch bei der Schweinegrippe eine Rolle
Laut Barry Popkin von der Gillings School of Global Public Health an der Universität von North Carolina reduzieren Übergewicht und Fettleibigkeit auch die «Immunreaktion und die Fähigkeit, Covid-19 zu bekämpfen». Im vergangenen Jahr veröffentlichte US-Forschungsergebnisse zeigen, dass Impfstoffe bei übergewichtigen Menschen weniger wirksam sind.
Der Zusammenhang zwischen Gewicht und erhöhtem Risiko einer schweren oder tödlichen Infektion mit grippeähnlichen Viren wurde auch während der Schweinegrippe-Pandemie 2009 festgestellt, an der weltweit 284'000 Menschen starben. Die USA haben weltweit am meisten Probleme mit Fettleibigkeit, aber Schottland liegt dicht dahinter: Mehr als 20 Prozent der Schweinegrippe-Todesfälle in Europa ereigneten sich dort. Im Gegensatz dazu gab es damals in Japan, wo nur zwei Prozent der Erwachsenen fettleibig sind, keine Todesfälle. (noo)