Kreml-Herrscher Wladimir Putin (70) schafft neue geopolitische Realitäten. Doch die Schweiz kommt damit schlecht zurecht. Das hat vor allem mit dem Bundesrat zu tun: Er will am liebsten alles beim Alten lassen.
Nach Russlands Überfall auf die Ukraine ergriff die Landesregierung erst auf massiven Druck von aussen Sanktionen gegen Putins Regime. Für Aussenminister Ignazio Cassis (61) hagelte es Kritik. Er ging in die Offensive und präsentierte die Idee einer «kooperativen» Neutralität: Die Schweiz wolle enger mit der Nato zusammenarbeiten; verlässlichen Partnerländern solle es künftig erlaubt sein, hierzulande gekaufte Waffen weiterzugeben. Sein Departement bereitete einen entsprechenden Bericht vor.
Das brachte SVP-Doyen Christoph Blocher (82) in Rage: Die Schweiz mache sich zur Kriegspartei. Jetzt müsse die Neutralität in der Verfassung verankert werden. Er kündigte eine Initiative an.
Es wurde ein ungleiches Rennen: Das Bundesratskollegium liess Cassis im Regen stehen, wies seinen Bericht Anfang November zurück. Dafür läuft seit Dienstag die Unterschriftensammlung für die Neutralitäts-Initiative der SVP. Sie will die «immerwährende bewaffnete Neutralität» in der Verfassung festschreiben. Damit wären Bündnisbeitritte ausgeschlossen. An EU-Sanktionen wie denen gegen Russland dürfte sich die Schweiz künftig nicht mehr beteiligen.
Präsident des Initiativkomitees ist SVP-Nationalrat Walter Wobmann (64). Er weiss, wie man Abstimmungskämpfe gewinnt: Wobmann hat schon die Minarett-Initiative und die Burka- Initiative erfolgreich durchgebracht. «Der Bundesrat hat die Neutralität mit Füssen getreten», sagt der Nationalrat. «Jetzt soll das Volk entscheiden, ob es eine verwässerte oder eine integrale Neutralität will.» Ganz oder gar nicht, findet Wobmann: «Eine Frau kann ja auch nicht halb schwanger sein.»
Wenig Liebe von den anderen Parteien
Linke und Grüne lehnen die Initiative ab. Auch Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (44) hält sie für falsch. Er sagt aber auch: «Der Bundesrat verschliesst die Augen vor der Neutralitätsdebatte. Das spielt der SVP in die Karten.» Die Initiative sei einfach und klar, sagt er. «Das macht sie nicht gut. Wir dürfen uns nicht in jeder Krise hinter der Neutralität verstecken. Dann wird es unanständig.»
Auch FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (59) ist unzufrieden mit dem Bundesrat. Es sei ein Fehler gewesen, den Bericht von Cassis zurückzuweisen, sagt Portmann. Jetzt will er nachholen, was seinem Parteifreund nicht gelungen ist: Der Bundesrat soll dazu verpflichtet werden, Grundsätze und Handlungsrichtlinien für die Umsetzung des Neutralitätsrechts festzulegen. Portmann hat in der Aussenpolitischen Kommission einen Antrag eingereicht. Ziel ist ein Bundesbeschluss, der bis vors Volk kommen könnte.
«Der Bundesrat muss für Klarheit sorgen», sagt er. «Das betrifft insbesondere Güterlieferungen in Kriegsregionen und Sanktionen gegen Kriegsparteien.» Dieses Vorgehen ermögliche einen zeitgemässen Umgang mit der Neutralität. Portmann: «Die Initiative der SVP ist der falsche Weg.»