So inszenierten Russen und Amis den Sieg
Zwei Fotos für die Ewigkeit

Vor 70 Jahren fand der Zweite Weltkrieg sein Ende. Zwei Bilder stehen sinnbildlich für die Siege der Amerikaner und Russen. Beides sind PR-Bilder – und brachten den Schöpfern nicht nur Glück.
Publiziert: 21.03.2015 um 13:27 Uhr
|
Aktualisiert: 05.10.2018 um 18:17 Uhr
1/5
«Raising the Flag on Iwo Jima» – 23. Februar 1946
Foto: Joe Rosenthal
Von René Lüchinger

Der eine ist Amerikaner. Sohn russisch-jüdischer Emigranten. Fotograf von Beruf. Joseph John «Joe» Rosenthal, Schöpfer eines Schnappschusses, welcher als «Raising the Flag on Iwo Jima» in die Geschichte eingeht. Geschossen am 23. Februar 1946. Auf einer Vulkaninsel, irgendwo im Pazifik. 1045 Kilometer von Tokio entfernt. Es ist die Fotoikone, welche den Sieg der Amerikaner über das faschistische Japan im Zweiten Weltkrieg symbolisiert.

Der andere ist Russe. Spross einer jüdisch-ukrainischen Familie. Fotograf von Beruf. Jewgeni Ananjewitsch Chaldej, Schöpfer eines Schnappschusses, welcher mit der Byline «Auf dem Berliner Reichstag, 2. Mai 1945» in die Geschichte eingeht. Es ist die Fotoikone, welche den Sieg der Russen über das nationalsozialistische Deutschland symbolisiert.

Zwei Bilder an der Demarkationslinie zwischen Kriegs- und Nachkriegszeit. Auf Zelluloid gebannte Szenen, die sich tief in das kollektive Bewusstsein der vom Joch des Krieges befreiten Welt eingraben. Dennoch zeigen beide Bilder keineswegs historische Realität. Beides sind propagandistische Inszenierungen. Placebo gegen die Kriegsmüdigkeit in der Heimat. Posen des Triumphs gegen die im Krieg niedergerungenen Feinde.

Joseph Rosenthal, der Amerikaner, begleitet als Fotograf der US-Nachrichtenagentur Associated Press die Kampfhandlungen im pazifischen Raum. So auch die Eroberung der Insel Iwo Jima («Schwefelinsel») durch die US-Marines – eines wichtigen strategischen Stützpunktes der Amerikaner zum Angriff auf die Hauptstadt Tokio. Es ist ein gewaltiges Ringen um abgelegene 23 Quadratkilometer im Meer. Die härteste Schlacht in der Geschichte der US-Marines sei das gewesen, meint der angreifende US-General später. Von seinen 74000 Soldaten werden in dem viertägigen Kampf knapp 7000 getötet und rund 25000 verwundet. Auch von den sechs Marines, die auf dem Bild zu sehen sind, sterben drei noch während der Schlacht, und auf japanischer Seite fallen insgesamt 20000 Soldaten, lediglich 216 überleben. Statthaft also, dass dieses Bild zum Symbol des Sieges und zur Vorlage für ein bronzenes Denkmal beim Soldatenfriedhof Arlington nahe der Bundeshauptstadt Washington wird. Dass Fotograf Rosenthal dabei keine Originalszene abgelichtet hat, sondern lediglich den Austausch einer kleinen US-Flagge durch eine grössere? Das ist wohl eine kleine historische Lüge, ohne die jede Legendenbildung profan bleibt.

An diesem Punkt stehen die Russen den Amerikanern in nichts nach. Jewgeni Chaldej, der Russe, wird mit der vorrückenden Roten Armee Zeuge der Befreiung Rumäniens, Bulgariens, Ungarns, schliesslich auch der Einnahme von Wien und Berlin. Nach dem Fall der Reichshauptstadt sucht der Fotograf nach einem Motiv des Sieges. Er organisiert sich eine rote Tischdecke, lässt darauf von einem befreundeten Schneider etwas grobschlächtig Hammer und Sichel nähen, schnappt sich im Eingangsbereich des brennenden Reichstages ein paar russische Soldaten und kraxelt mit diesen auf das Dach des Gebäudes. Dann drückt Chaldej ab.

Auch dies ist ein Schnappschuss mit Ansage. Dem bilddominanten russischen Soldaten wird nachträglich die Uhr am rechten Arm wegretouchiert. Eine Uhr an jedem Handgelenk entlarvt schliesslich den Plünderer – das weiss jeder in Russland. Damit nicht genug: Später werden im Bildhintergrund Rauchschwaden hineinmontiert, die in der Realität dort nicht mehr existiert haben. Das Bild wird schliesslich erst mehrere Tage nach dem Ende der Kampfhandlungen in der Reichshauptstadt geschossen.

Den beiden Ikonen der Weltfotografie tut dies kein Abbruch. Und den beiden Schöpfern brachten diese unterschiedliches Glück. Rosenthals Bild ist bis heute weltweit eines der am häufigsten reproduzierten Aufnahmen überhaupt; er selber erhält dafür den renommierten Pulitzer-Preis. Dem Russen wird in der UdSSR seine jüdische Herkunft zum Verhängnis: Er verliert seinen Job, stirbt verarmt.

Immerhin: 1995 lernen sich die beiden Fotografen einmal persönlich kennen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?