Schweizer Flüchtlingshelferin über Idomeni
«Die Situation ist brenzlig, ich erwarte Unruhen»

Die griechische Regierung hat heute mit der Räumung des griechischen Flüchtlingcamps Idomeni begonnen. Auch ein Helfer-Team unter der Leitung der Bündnerin Vanja Crnojevic (36) ist vor Ort.
Publiziert: 24.05.2016 um 16:31 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 04:25 Uhr
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Vanja Crnojevic hilft mit ihrer Organisation «Borderfree Association» Flüchtlingen in den Flüchtlingslagern von Serbien und Griechenland.
Foto: Facebook Vanja Crnojevic

Seit Monaten leben Tausende Menschen unter prekären Bedingungen im Flüchtlingscamp Idomeni. Die Hoffnung auf ein Weiterkommen liess sie Regen, Kälte und Hunger trotzen. Nun wird Idomeni geräumt.

Vanja Crnojevic (36) war schon mehrere Male im Camp und wird am Sonntag erneut nach Idomeni reisen. Die Gründerin der Hilfsorganisation «Borderfree Association» koordiniert mehrere Teams und Projekte in Serbien und Griechenland. 

BLICK: Frau Crnojevic, mehrere Freiwillige Ihrer Organisation sind in Idomeni. Wie ist die Lage im Camp momentan?

Vanja Crnojevic: «Heute hat die Evakuierung begonnen. Im Camp ist es bis jetzt ruhig, viele Busse sind bereits da. Die Menschen gehen ohne Widerstand. Die Situation in Idomeni spitzte sich in den letzten Tagen immer mehr zu. Die Arbeit vor Ort wurde uns unglaublich erschwert, wir wurden seit gestern nicht mehr in das Camp gelassen. Die griechische Regierung will, dass die Flüchtlinge sich freiwillig umplatzieren lassen. Also lassen uns die Behörden nicht mehr helfen – in der Hoffnung, dass die Leute von sich aus gehen. Einige Freiwillige sind seit mehreren Tagen im Lager und werden in den nächsten Stunden das Camp verlassen.»

Viele Flüchtlinge riskierten ihr Leben, um nach Europa zu kommen. Tausende harren teils seit Monaten unter unwürdigen Bedingungen in Idomeni aus. Wie realistisch ist es, dass die Flüchtlinge freiwillig das Camp verlassen?

«Die Menschen wollen nicht weg von hier. Sie haben Angst, abgeschoben und vergessen zu werden. Da die meisten von ihnen Kurden sind, fürchten sie sich auch wahnsinnig davor in die Türkei verfrachtet zu werden. Gleichzeitig haben sie alle noch Hoffnung, dass die Grenze doch wieder aufgeht. Uns wurde versprochen, die Aktion werde ohne Gewalt über die Bühne gehen – gleichzeitig habe ich gehört, dass die Polizei Verstärkung aus Athen angefordert hat. Die Leute fühlen sich im Stich gelassen. Sie sind enttäuscht und wütend, denn sie verstehen nicht, was vor sich geht. Die Situation ist brenzlig, ich erwarte grosse Unruhen.»

Foto: imago/ZUMA Press

Idomeni ist zum Ghetto geworden: Drogen, Prostitution und Gewalt hielten Einzug im Camp. Wo war die Aufsicht?

«Die griechische Polizei war präsent. Doch sie hat alles geschehen lassen. Das war auch in ihrem Interesse: Sie wollte die Situation eskalieren lassen, um eine Räumung zu begründen.»

Wie stehen Sie selbst zur Räumung?

Ich hoffe sehr, dass die Menschen an einen Ort gebracht werden, wo es ihnen besser geht. In anderen Camps in Griechenland wird das nicht der Fall sein, dort sind Probleme mit der Nahrungsmittelversorgung und der medizinischen Betreuung Alltag. Deshalb wäre es wohl am Besten, wenn sie mit organisierten Transporten nach Serbien gebracht würden. Die Zustände sind viel besser und die Lager sind entsprechend vorbereitet auf einen solchen Ansturm, es hätte genügend Platz. Ich finde es grundsätzlich sinnvoll, dass die Flüchtlinge auf die einzelnen Länder aufgeteilt werden. Ich bin selber ein Kriegsflüchtling und weiss: Es ist kein Wunschkonzert, in welches Land man will – es ist Krieg.»

Am Sonntag werden Sie erneut nach Idomeni reisen. Haben Sie keine Angst?

«Hätte ich Angst, würde ich nicht dorthin gehen. Genau in riskanten Situationen brauchen uns die Leute. Es geht nicht nur um Nahrungsmittel, Schulbildung und Medizin: Wichtig ist auch, dass wir ihnen zeigen, dass sie nicht vergessen werden. Das wir ihnen zuhören und für sie da sind.»

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