Es knirscht im Verhältnis zwischen Polen und der EU. Jüngst entschied das Verfassungsgericht in Warschau, EU-Recht widerspreche zum Teil der polnischen Verfassung. Für Brüssel ist das ein Tabubruch: Der Vorrang der Grundsätze des EU-Rechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten ist ein wichtiger Pfeiler der Union.
Seit Jahren arbeitet Polen an einer Justizreform, mit der die Unabhängigkeit der Gerichte unterhöhlt, die Gewaltenteilung ausgehebelt wird – ein krasser Bruch mit demokratischen Prinzipien. Mehrere Entscheidungen des EU-Gerichtshof verurteilten dies – was Polen als Angriff auf seine Souveränität betrachtet. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) stilisiert den Aufstand gegen Brüssel zur Fortsetzung des polnischen Freiheitskampfes: Nach dem Widerstand gegen Nazis und Sowjets im 20. Jahrhundert werde man sich nun auch gegen Brüssel wehren können. Das ist purer Populismus.
Ein Austritt Polens aus der EU ist aber fraglich. Seit dem Beitritt 2004 hat sich das BIP fast verdoppelt. Das Land ist grösster Empfänger von EU-Geldern. Und fast nirgends in der Union liegt die Arbeitslosenquote so tief wie in Polen. Ganz klar: Das moderne Polen ist auch ein Erfolg der EU-Integration.
Die faktische Weigerung, Vorgaben aus Brüssel zu übernehmen, hat dennoch bereits zu einem teilweisen Polexit geführt: Das Land erkennt Unionsrecht nur noch punktuell an. Der EU bleibt nichts anderes übrig, als den Druck auf ihr Sorgenkind massiv zu erhöhen. Dass sich ihre Mitglieder die zentralen EU-Grundsätze à la carte aussuchen, kann keine glaubhafte Option sein.