Darum gehts
In Frankreich geht nichts mehr. Am Mittwoch rufen die Gewerkschaften dazu auf, mit Streiks mehrere Tage das ganze Land lahmzulegen. Die Auswirkungen dürften sich auch auf die Schweiz niederschlagen.
Auslöser sind die Sparmassnahmen, die die Regierung angekündigt hat und die am Montagabend dem regierenden Premierminister François Bayrou (74) und seinem Kabinett den Kopf gekostet haben. Für Präsident Emmanuel Macron (47) wirds eng: Um den weiteren Aufstieg der Rechtspopulisten um Marine Le Pen (57) zu stoppen, muss er unpopuläre Massnahmen ergreifen.
Bayrou war erst seit Dezember 2024 im Amt und bereits der vierte Premier unter Präsident Macron in drei Jahren. Am Montagnachmittag hat er im Parlament eine Vertrauensabstimmung verloren. 364 Abgeordnete stimmten gegen die Regierung, nur 194 Abgeordnete sprachen ihr das Vertrauen aus. Es waren vor allem die Linken und die Rechtspopulisten, die die Regierung gestürzt haben.
Massiv verschuldet
Zum Fall brachten Bayrou die Sparmassnahmen, die er wegen der massiven Staatsverschuldung umsetzen wollte und wegen derer er die Vertrauensfrage gestellt hatte. Geplant sind Einsparungen von 44 Milliarden Euro im Jahr 2026 sowie die Streichung von zwei Feiertagen. Es geht um den Ostermontag und den 8. Mai, an dem das Ende des Zweiten Weltkrieges gefeiert wird.
Bayrou wollte mit seinem Mitte-Rechts-Minderheitsbündnis die Bruttoverschuldung senken. Diese ist in zehn Jahren von 97 auf 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen. In der EU haben nur Griechenland (153 Prozent) und Italien (135,3 Prozent) eine höhere Schuldenquote. In der Schweiz liegt der Wert bei 36 Prozent.
Schaden für ganz Europa
Wo liegt das Übel? Frankreich-Experte Gilbert Casasus sieht es an zwei Orten. «Das politische Personal ist sich dem Ernst der Krise nicht bewusst. Frankreich erlebt keine konjunkturelle, sondern eine strukturelle Krise, was von den meisten Franzosen geleugnet wird.» Auf der anderen Seite habe es Macron vermasselt, den von ihm propagierten Kompromiss zwischen links und rechts herzustellen. «Er tendierte immer mehr zu den Konservativen, was auf lange Sicht nicht gut gehen konnte», sagt Casasus.
Die Krise in Frankreich wirkt sich auf ganz Europa aus. Casasus bezeichnet Macron als «erfahrenen Leistungsträger Europas mit einem überdurchschnittlichen Durchsetzungsvermögen». Daher würde sich ein innenpolitisch geschwächter Macron negativ auf die ganze Europapolitik auswirken, die sich im Kreuzfeuer Russlands, Chinas und der USA befinde. «Auch ein aggressiver und chaotischer Streik schadet sowohl Frankreich als auch der europäischen Wirtschaft.»
Streik bis in die Schweiz spürbar
Am Mittwoch haben mehrere Gewerkschaften mit «Bloquons tout» dazu aufgerufen, das ganze Land lahmzulegen. Der Streik könnte sich bis Freitag hinziehen, zudem wollen gewisse Gewerkschaften auch nächste Woche am Donnerstag und Freitag mobil machen. Wie 2018 bei den Protesten der Gelbwesten werden Krawalle befürchtet.
Betroffen sind unter anderem der Zugverkehr, Flüge, die Abfertigung an Flughäfen und Busse. Möglich sind Streiks auch bei Polizei, Feuerwehr, Spitälern, Hotels, Tankstellen und Autobahn-Mautstationen. Automobilisten müssen mit Strassenblockaden von Chauffeuren und Bauern sowie mit Demonstrationen in den Städten rechnen.
Auch Schweizer Grenzregionen dürften den Streik zu spüren bekommen. Dann etwa, wenn Grenzgänger nicht zur Arbeit fahren oder Waren nicht geliefert werden können.
Macron kämpft weiter
Es gibt verschiedene Szenarien, wie sich Macron aus der Affäre ziehen könnte. Zur Diskussion stehen Neuwahlen. Aber die will er mit allen Mitteln verhindern, da sie Marine Le Pens Rassemblement National und auch die Linken stärken würden. «Macron wird alles versuchen, um bis 2027 an der Macht zu bleiben und bis Ende seiner Amtszeit das Land mitzuregieren», meint Casasus. Er werde sich darum bemühen, die Unterstützung der «eher farblosen» Sozialisten zu gewinnen. Eine Alternative wäre auch die Bildung einer – in Frankreich allerdings unüblichen – Technokratenregierung.
Dass es in Frankreich immer wieder zu Krisen kommt, liegt laut Casasus im System der 1958 von General de Gaulle eingesetzten Fünften Republik. Es lässt, wie jetzt, zu, dass der Präsident über keine parlamentarische Mehrheit verfügt und somit nicht in der Lage ist, mit einer stabilen und verlässlichen Regierung die Zukunft des Landes zu gestalten. Casasus: «Die jüngste Krise zeigt erneut, dass das politische Regime Frankreichs an seine eigenen Grenzen gestossen ist.»