Russische Raketen treffen Gebäude in Saporischschja
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Unter Beschuss:Russische Raketen treffen Gebäude in Saporischschja

Raketen über dem grössten AKW Europas
Festung Saporischschja bereitet sich auf Kämpfe vor

Die russische Armee dringt immer weiter in den Süden der Ukraine vor. Auch in der Oblast Saporischschja kommt es vermehrt zu Angriffen. Die gleichnamige Hauptstadt der Region blieb grösstenteils unversehrt – bis jetzt.
Publiziert: 27.04.2022 um 21:08 Uhr
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Aktualisiert: 28.04.2022 um 07:27 Uhr
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Am Dienstag wurden russische Raketen über Europas grösstem AKW gemeldet.
Foto: Wikipedia / Maxim Gavrilyuk

Die russische Armee richtet ihren Fokus immer stärker auf den südlichen Teil der Ukraine, auch im Südosten des Landes sind die feindlichen Truppen auf dem Vormarsch. Laut «The Guardian» haben Putins Soldaten bereits 70 Prozent der Oblast Saporischschja eingenommen.

Am Dienstag meldete Petro Kotin, der Chef des ukrainischen Atomenergieunternehmens Energoatom, dass russische Raketen in niedriger Höhe über dem Kernkraftwerk Saporischschja gesichtet worden seien – es ist nicht nur das grösste AKW der Ukraine, sondern ganz Europas. Ein Vorfall in dem Kraftwerk könnte also für alle fatal enden, so Kotin. «Schliesslich könnten Raketen eine oder mehrere Nuklearanlagen treffen, und damit droht eine nukleare und Strahlungskatastrophe auf der ganzen Welt.»

Die Raketen über dem AKW waren allerdings nicht die einzigen russischen Angriffe in der Oblast am Dienstag: Auch in Polohy gingen nach einem russischen Beschuss acht Häuser in Flammen auf, in Molotschansk wurde ein Personenwagen eines Zuges beschädigt, und in Wasyliwka brannte eine Tankstelle. In der Region rund um die Stadt Orichiw kam es ebenfalls zu mehreren Bränden nach Anschlägen. Dies teilte die Militärverwaltung der Oblast Saporischschja am Dienstag auf Telegram mit.

Russische Armee bewegt sich auf Saporischschja zu

Einzig Saporischschja selbst, die Hauptstadt der gleichnamigen Oblast, blieb in letzter Zeit von russischen Angriffen weitgehend verschont. Die Stadt wurde im Vergleich zu anderen ostukrainischen Städten wie Charkiw oder Städten im Donbass nur selten getroffen. Bis jetzt. Denn auch hier wurden am Dienstag Einschläge von russischen Raketen gemeldet, dabei soll ein Aluminiumwerk in der Stadt beschädigt worden sein. Fällt sie nun, die letzte Festung der Südostukraine?

Wie der britische Geheimdienst berichtet, verstärken ukrainische Streitkräfte ihre Verteidigungsanlagen vor der Stadt, um sich auf einen möglichen Angriff Russlands vorzubereiten. Auch «The Guardian» berichtet von Gräben, Sandsäcken und einer Vielzahl ukrainischer Soldaten vor der Stadt, welche die Ankunft der Feinde erwarten.

In regelmässigen Abständen schlagen Granaten drei bis fünf Kilometer vor der Stadt ein, so die Zeitung. Die Bürgerinnen und Bürger zeigen sich aber ebenso wenig beunruhigt wie die Soldaten. Bisher ist man der Meinung, dass man eine russische Offensive auf die Stadt aufhalten könnte. Soldaten, die vor der Stadt stationiert wurden, hatten allerdings nicht damit gerechnet, dass die Kämpfe sie so schnell erreichen würden.

«Die Stadt ist vorbereitet, aber zu einem Angriff wird es nicht kommen», sagte Iwan Ariefjew, der Pressesprecher der regionalen Militärverwaltung von Saporischschja, bei einem Ausbildungskurs für Bewohnerinnen und Bewohner, bei welchem sie den Umgang mit Waffen erlernen und die Grundlagen der Ersten Hilfe repetieren. Von einer Evakuierung möchte Ariefjew trotz der unmittelbaren Nähe der russischen Truppen nichts wissen. «Niemand wird aus der Stadt selbst evakuiert. Nur Zivilisten aus anderen Ortschaften verlassen die Oblast», wird er von der Zeitung zitiert.

Ukrainische Soldaten haben nicht genug Ausrüstung

Ein ganz anderes Bild zeichnen ukrainische Soldaten, die selbst nicht an der Front sind. Ein Blick auf die Ausrüstung der Armee zeigt: Lange würde Saporischschja einer russischen Offensive nicht standhalten können. Die ukrainischen Truppen haben nur einen Bruchteil der benötigten medizinischen Ausrüstung. Für 23 Soldaten haben sie lediglich sechs Schutzhelme und sechs Aderpressen, so die Soldaten. Auf die Frage, ob sie glaubten, dass die Russen bald vorrücken würden, sagten sie nur, dass sie mit einem Kampf rechneten.

Der Raketenanschlag vom Dienstag sei «glimpflich» ausgegangen, warnt auch der Pressesprecher des Krankenhauses in Saporischschja. «Zum Glück wurden die meisten Raketen von Flugabwehrsystemen abgefangen. Hätten sie wie beabsichtigt eingeschlagen, hätten wir viel, viel mehr Verwundete gesehen», wird er von «The Guardian» zitiert.

Um den russischen Truppen in Saporischschja standhalten zu können, brauche es unbedingt Waffen «von unseren westlichen Kameraden», drängen die Soldaten vor Ort. Denn: «Die Russen haben viel zu alte sowjetische Ausrüstung.» Mit westlichen Waffen sei eine erfolgreiche Verteidigung der Stadt gewiss. «Falls ihr es noch nicht bemerkt habt, sie haben Charkiw und Kiew erreicht, Sumy und Tschernihiw eingekesselt – vier riesige Regionen – und wir haben sie rausgeschmissen. Sie galten als eine mächtige Armee, aber wir haben sie erledigt.» (chs)

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