Polnische Medien fürchten Schröpfung durch neue «Werbeabgabe»
Blitzaktion gegen nationalistische Regierung

Die rechte Regierung Polens will die Medien «re-polonisieren». Ausländische Verlage sind ihr ein Dorn im Auge. Durch eine neue «Werbeabgabe» sollen die Medien in die Knie gezwungen werden. Betroffen ist auch der Schweizer Verlag Ringier.
Publiziert: 12.02.2021 um 20:16 Uhr
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«Medien ohne Wahl»: Am Mittwoch färbten aus Protest mehrere Medien ihre Titelseiten schwarz ein.
Foto: AFP
Guido Felder

Wer am Mittwoch die Website polnischer Medien anklickte, sah schwarz: «Hier sollte eigentlich Ihre Lieblingssite erscheinen», hiess es auf einer Site, «Protest der freien Medien» stand in grossen weissen Lettern auf schwarzem Hintergrund auf einer anderen Website.

Auch Fernsehsender verstummten und zeigten das Standbild «Hier sollte Ihre Lieblingssendung laufen». Radiosender informierten in ständigen Wiederholungen über den Protesttag, an dem rund 50 private Medien teilnahmen.

Die Aktion war im Geheimen geplant worden, um die Polinnen und Polen zu schockieren und ihnen zu zeigen, wie unverzichtbar unabhängige Medien sind.

Mit Werbeabgabe Medien schwächen

Grund für den Medienstreik sind die wachsenden Eingriffe der nationalkonservativen PiS-Regierung. Bis Ende Jahr plant sie die Einführung einer «Werbeabgabe» in der Höhe zwischen zwei und 15 Prozent des Ertrags. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (52) nennt sie harmlos eine «Solidaritätsabgabe», die es in andern EU-Ländern auch gebe und die «bessere Bedingungen für die Entwicklung freier Medien» schaffen würde. Zudem könnten damit Corona-Massnahmen mitfinanziert werden.

Offiziell zielt die Abgabe darauf ab, Gewinne von Internetriesen wie Google und Facebook abzuschröpfen, um mit einem Fonds einen neuen Medien- und Kulturfonds zu speisen. Kritiker befürchten aber, dass damit unliebsame Medien geschwächt und mit deren Geld regierungsnahe Organe gefördert würden.

Auch Schweizer Verlag im Visier

Die deutsche «Tagesschau» berichtet, dass die PiS-Partei vor allem «deutschen» Medien schon lange den Fehdehandschuh hingeworfen habe. Zeitungen wie «Fakt» würden Polen eines grossen Teils seiner Souveränität berauben, sagte vor kurzem PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski (71).

Diese Aussage betrifft somit auch den Schweizer Verlag Ringier, der gemeinsam mit dem deutschen Verlag Axel Springer mehrere Medien in Polen betreibt, darunter auch «Fakt» und die grösste Onlinelattform Onet.

Onet-Chefredaktor Bartosz Weglarczyk (50) sagt zu BLICK: «Da es für die polnische Regierung schwierig ist, grosse Verlage wie Ringier Axel Springer aus dem Land zu werfen, versucht sie, die Einnahmen zu entziehen, um sie später selber in polnische Hände bringen und kontrollieren zu können.» Schon heute sei der Staat der grösste Medienherausgeber.

Medien werden re-polonisiert

Weglarczyk spricht von einer «Re-Polonisierung» der Medien. Täglich lese er in Staatsmedien diffamierende Artikel über sich selber. Man nenne ihn, obwohl Pole, den «deutschen Journalisten», seine Plattform «Deutsches Sprachmedium» – ein Ausdruck aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.

Ungarn schliesst letztes freies Radio

Auch in Ungarn hat die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban (57) die Medienfreiheit eingeschränkt. Seit dem Corona-Ausbruch hat Orban das Recht, auf unbestimmte Zeit nach Regeln des Notstands zu regieren. Das heisst auch, er darf entscheiden, was eine «Falschmeldung» ist und Journalisten ins Gefängnis stecken.

Seit Orban seit 2010 an der Macht ist, werden immer mehr Medien von der Regierung kontrolliert. Diese Woche wurde auch dem letzten unabhängigen Radiosender, dem Klubrádió, die Sendelizenz entzogen. Der Grund ist absurd: Unter anderem hatte die Redaktion der Medienaufsichtsbehörde die Dokumentationen über den Anteil Musik/Gespräch zu spät gemeldet. Guido Felder

Auch in Ungarn hat die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban (57) die Medienfreiheit eingeschränkt. Seit dem Corona-Ausbruch hat Orban das Recht, auf unbestimmte Zeit nach Regeln des Notstands zu regieren. Das heisst auch, er darf entscheiden, was eine «Falschmeldung» ist und Journalisten ins Gefängnis stecken.

Seit Orban seit 2010 an der Macht ist, werden immer mehr Medien von der Regierung kontrolliert. Diese Woche wurde auch dem letzten unabhängigen Radiosender, dem Klubrádió, die Sendelizenz entzogen. Der Grund ist absurd: Unter anderem hatte die Redaktion der Medienaufsichtsbehörde die Dokumentationen über den Anteil Musik/Gespräch zu spät gemeldet. Guido Felder

Zurzeit, so meint Weglarczyk, sei Onet nicht in Gefahr. Er kämpft mit allen Mitteln gegen die staatlichen Eingriffe: «Ich bleibe Journalist und werde weiterhin meinen Job machen.»

US-Druck wirkt

Kai-Olaf Lang, Polen-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, prognostiziert: «Es wird für viele Medien schwerer werden, teure, qualitätsorientierte Berichterstattung zu pflegen. Für manche könnte es auch ums Überleben gehen.»

Noch sei aber gar nicht sicher, ob die Abgabe in dieser Form auch tatsächlich eingeführt werde. Lang: «Die Protestaktion vieler polnischer Medien hat das Regierungslager sicher überrascht.» Er erwartet, dass sich die EU einschalten wird, nachdem sich der neue US-Präsident Joe Biden (78) bereits gemeldet hat.

Lang ist überzeugt: «Wenn Washington, dessen sicherheitspolitische Bedeutung für Polen zentral ist, Druck ausübt, wird die Regierung in Warschau nachgeben.»


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