Neues Klimaziel, neuer Asylpakt – nur das Rahmenabkommen stockt:
EU-Chefin Von der Leyen zieht die Zügel an

Nach einem Dreivierteljahr im Amt packt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Problem-Dossiers an. Das Nachsehen hat die Schweiz.
Publiziert: 27.09.2020 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2020 um 10:51 Uhr
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist seit einem Dreivierteljahr im Amt.
Foto: keystone-sda.ch
Fabienne Kinzelmann

Ursula von der Leyen (61) war im Turbo-Modus, als sie am 1. Dezember als EU-Kommissionspräsidentin antrat. Im Rekordtempo stampfte sie einen «Green Deal» für Europa aus dem Boden, lud Greta Thunberg (17) ins Parlament ein. Doch erst überlagerte der Flüchtlingsstreit mit der Türkei den Besuch der Klimaikone. Und dann bremste die Corona-Krise die neue EU-Chefin bei voller Fahrt aus.

Ihre Agenda lag auf Eis. Und schlimmer noch: Mit den geschlossenen Grenzen verlor auch die EU-Chefin an Bedeutung. Ob bei Quarantäneregeln oder Wiederöffnung der Wirtschaft – in der Corona-Krise kochte jedes Land sein eigenes Süppchen.

Doch die leidenschaftliche Reiterin Ursula von der Leyen lässt sich die Zügel eben nicht gern aus der Hand nehmen. Beim EU-Wiederaufbauplan übernahm sie die Führung wieder: Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (65) und der französische Präsident Emmanuel Macron (42) einen EU-Hilfsfonds über 500 Milliarden Euro vorgeschlagen hatten, legte Ursula von der Leyen nochmals 250 Millionen obendrauf. Im Juli einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf einen 750 Milliarden Euro schweren EU-Aufbauplan.

Neues Klimaziel, neuer Asylpakt

Mitte September brillierte die EU-Chefin dann mit einer Rede zur Lage der Nation. Emotional und angriffslustig zeigte sich Ursula von der Leyen, die in Deutschland lange als mögliche Kanzlerkandidatin gegolten hatte. Die studierte Ärztin und siebenfache Mutter war Merkels Allzweckwaffe: Familienministerin, Arbeitsministerin, Verteidigungsministerin. Selbst die Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit überlebte sie. Während in Deutschland noch ein Untersuchungsausschuss wegen möglicher unsauberer Vergabe von Berateraufträgen im Verteidigungsministerium läuft, ist von der Leyen – fliessend dreisprachig – in Brüssel angekommen.

Neben Versprechungen in Sachen neues europäisches Mindestlohnprogramm und Gesundheitsunion verschärfte die EU-Chefin in ihrer Rede zur Lage der Nation nur ein Dreivierteljahr nach Amtsantritt ihren eigenen «Green Deal». Auf dem Weg zum «Netto Null» will sie bis 2030 mindestens 55 Prozent Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen. Das offizielle Ziel bislang: 40 Prozent.

Visegrad-Staaten blocken Asylpakt ab

Nur eine Woche später präsentierte von der Leyen einen knallharten Migrationsplan. Ihr Vorschlag nimmt aufnahmeunwillige Länder bei Krisen wie 2015 kräftig in die Pflicht. Gerät ein Land unter Druck, kann es einen Solidaritätsmechanismus auslösen.

Die EU-Kommission würde in diesem Fall prüfen, wie viele Menschen dem Land abgenommen werden müssen – jedes andere Land müsste Hilfe anbieten: Entweder nimmt es Migranten mit Aussicht auf einen Schutzstatus auf. Oder aber es hilft anderweitig, etwa durch Abschiebungen oder beim Migrationsmanagement.

Die Visegrad-Staaten stellen sich erwartungsgemäss gegen den Asylpakt. «Unsinn» nannte es gar Tschechiens Ministerpräsident. Doch nach dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria auf Lesbos ist klar: Es braucht endlich eine Lösung für den Dauerzoff.

Die Schweiz hat das Nachsehen

In immer weitere Ferne rückt derweil das Rahmenabkommen. Nicht nur, weil die EU-Chefin Besseres zu tun hat. Auch wenn die Begrenzungs-Initiative (BGI) der SVP heute Sonntag klar abgeschmettert wird, bleibt das Rahmenabkommen mit der EU offenbar chancenlos, zeigte eine BLICK-Recherche vergangene Woche.

Die überwiegende Mehrheit der Landesregierung glaube selbst nicht mehr an den Vertrag. Man überlege sich eher, wie man Brüssel am wenigsten vor den Kopf stosse, wenn man erklärt, das Rahmenabkommen sei gescheitert. Denn anzunehmen sei: Was dann folgt, ist Eiszeit.

Brüssel kümmert das weniger als Bern. Ursula von der Leyen weiss, dass sie für das Gelingen ihrer Präsidentschaft bei drei anderen Dingen fest im Sattel sitzen muss: der Bewältigung der Corona-Krise, einer Einigung im Asylzoff – und beim Kampf gegen den Klimawandel, der über allem schwebt.

Möglichst bald will sich die EU-Chefin erneut mit Greta Thunberg und ihren Mitstreitern treffen. Wie die «Zeit» berichtet, sucht ihr Büro bereits nach einem neuen Termin.

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