Als Barack Obama im November 2012 überraschend deutlich wiedergewählt wurde, war einer nicht überrascht: Statistik-Guru Nate Silver (38). Mit unheimlicher Genauigkeit hatte er den Ausgang der Wahl in sämtlichen 50 US-Staaten vorausgesagt – und Obama stets einen klaren Sieg prophezeit.
Jetzt, wo die Vorwahlen in Gang kommen, blickt die Welt wieder gespannt auf den Popstar der US-Medienwelt. Wie erwartet hat Silver die Siege von Donald Trump (Wahrscheinlichkeit: 56 Prozent) und Bernie Sanders (mehr als 99 Prozent) in New Hampshire vorausgesehen. Auch dass die beiden bei der Vorwahl in Iowa verlieren würden, hatte Silver gewusst.
Der 38-Jährige hat einen Ruf zu verteidigen. Silver wurde im Jahr 2008 zum Superstar, als er den Ausgang in 49 von 50 Staaten richtig voraussagte. US-Medien sahen ihn neben Obama als zweiten grossen Sieger der Wahl, das «Time»-Magazin kürte ihn zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt.
Wird Trump zum Stolperstein?
Erst sah es so aus, als würde Donald Trump zum Stolperstein des Zahlen-Freaks. Der irre Milliardär schien sogar für die ausgeklügelte Methode Silvers zu unberechenbar. Monatelang beteuerte Silver lauthals, Trump habe nicht den Hauch einer Chance, spätestens zu Beginn der Vorwahlen sei die Show vorbei. Er kritisierte die Medien wiederholt dafür, den Umfragen zu viel Bedeutung zuzumessen.
Zähneknirschend gab Silver schliesslich zu, Trump unterschätzt zu haben: «Es läuft für Trump besser, als ich mir vorgestellt habe», schreibt er in seinem Blog. «Wenn Sie wie ich dachten, dass die Show vorbei ist, müssen Sie ihre Annahmen überdenken.»
Dass die Umfragen im Vorfeld einer Wahl praktisch wertlos sind, daran hält Silver aber fest. Er hat ein anderes Rezept: Man nehme Daten von Meinungsforschungs-Instituten, gebe Angaben über die Bevölkerung – etwa Alter, Rasse und Wohlstand – hinzu, dazu ältere Wahlresultate. Dann wird das ganze in einem geheimen Mix vermengt, und fertig ist das Erfolgsrezept.
Damit lässt Silver seine Konkurrenz alt aussehen. Deren veraltete Methoden werden immer ungenauer. Umfragen übers Telefon-Festnetz etwa, immer noch eine wichtige Methode, sind längst nicht mehr so aussagekräftig wie früher. Ein grosser Teil der jungen Wählerschaft ist per Festnetz gar nicht mehr erreichbar.
Das zwingt auch Schweizer Meinungsforscher, ihre Methoden anzupassen. Der Politologe Claude Longchamp berücksichtigte letzten Herbst neben Telefonumfragen erstmals auch Resultate von Online-Umfragen und kantonalen Wahlen für seine Prognosen. Von den Datenmengen, die Silver zur Verfügung stehen, kann Longchamp aber nur träumen.
Vom Baseball-Nerd zum Polit-Prognostiker
Nate Silvers Aufstieg begann mit Baseball, neben den Zahlen die zweite grosse Leidenschaft des studierten Ökonomen. 2003 entwickelte er ein Statistik-Modell, das die Leistung und Karriereaussichten von Baseballspielern ausrechnete. Das war bei Zockern von «Fantasy Baseball» beliebt, wo man virtuelle Teams bastelt, deren Leistung auf echten Statistiken basiert. Bald wurden aber auch Top-Baseball-Clubs darauf aufmerksam und setzten es ein.
Vier Jahre später funktionierte Silver das Modell für die Politik um. Im März 2008 startete er einen Blog, den er Fivethirtyeight nannte – in Anlehnung an die 538 Wahlmänner, die den Präsidenten wählen. Der Blog war zeitweise beim Online-Auftritt der New York Times zu Hause, bevor er 2013 an das Sport-Medium ESPN verkauft wurde.
Die Seite, die Silver als Chefredakteur betreut, fokussiert sich auf ein breites Themengebiet unter der Rubrik Datenjournalismus. In den nächsten Monaten ist aber klar, was das Hauptthema sein wird: Die Präsidentschaftswahlen, die Königsdisziplin. (rey)