Die Nation, die Hitler und die Sowjetunion besiegte, wirkt plötzlich schutzbedürftig.
Die Bilder vom 6. Januar 2021, als eine Horde Freaks und Extremisten das Parlamentsgebäude der Vereinigten Staaten von Amerika stürmten, verstören die Welt: Gestalten mit völkischen Symbolen in den Abgeordnetensesseln, die Konföderiertenflagge vor Porträts der Bürgerkriegshelden.
Fünf Todesopfer hat das Ereignis gefordert. Eines von ihnen war Mitglied eines der bestgerüsteten Polizeicorps der USA. Die 2300 Mann starke Capitol Police verfügt über ein Jahresbudget von 460 Millionen Dollar, um ein Areal von der Grösse des New Yorker Central Parks zu beschützen.
Die Invasoren marschierten nicht spontan zum Kapitol. Sie waren vorbereitet. Manche hatten Kabelbinder dabei, was auf Pläne zur Geiselnahme hindeutet.
Kurz zuvor stachelte Donald Trump (74) sie in einer Rede auf: «Kämpft! Wir gehen zum Kongress!» Nach der Eskalation forderte der US-Präsident sie zwar auf, nach Hause zu gehen – aber nicht ohne «wir lieben euch» und «ihr seid etwas Besonderes» hinzuzufügen.
Der Vorfall ist für die Republikaner nicht nur sagenhaft peinlich. Er ist ein Wendepunkt für die «Grand Old Party», die Partei Abraham Lincolns, die sich vier Jahre lang vor Trump hertreiben liess.
Seit der Präsidentschaftswahl am 3. November penetriert Trump die Öffentlichkeit mit seiner Verschwörungstheorie der «gestohlenen Wahl» und der unbelegten Behauptung, er habe in Wirklichkeit mehr Stimmen erhalten als Wahlsieger Joe Biden (78) – entgegen allen angerufenen Gerichten, Behörden und republikanischen Gouverneure.
Cruz und Hawley heizten ein
Das Parteiestablishment in Washington hat diesem antidemokratischen Zirkus mehr als 60 Tage lang zugeschaut – manche Exponenten heizten den enttäuschten Trumpwählern sogar noch weiter ein. Allen voran die Senatoren Ted Cruz (50) und Josh Hawley (41). Für die Bestätigung von Bidens Sieg durch den Kongress am Mittwoch hatten sie einen Coup geplant.
Gestützt auf Trumps Betrugsvorwürfe sollte Bidens Ernennung in letzter Minute sabotiert werden. Erst der vormalige Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell (78), sprach im Saal ein Machtwort und stoppte den Unsinn.
Ein paar Wochen früher hätte McConnells Klartext mehr Mut erfordert – und womöglich viel Unheil vermieden.
Nur wenige prominente Republikaner wie Ex-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney (73) widersetzten sich von Anfang an Trumps würdelosem Spiel.
Ausgerechnet Ted Cruz war es nun, der am Donnerstag die Kapitol-Besetzer am lautesten als «Terroristen» beschimpfte und diesen «schockierenden Angriff auf unser System» verurteilte. Dann stiess der Texaner, der an vorderster Front mitgezündelt und die Massen aufgewiegelt hatte, seinem angeschlagenen Leader das Messer in den Rücken: «Ich glaube, die Rhetorik und Sprache des Präsidenten waren unverantwortlich», sagte er einem TV-Sender.
Anführer Angeli ist kein Unbekannter
Cruz’ Heuchelei ist beispiellos: Die Vandalen wurden am 6. Januar nicht überraschend auf die Erde gebeamt – sie gehörten zum festen Inventar jeder Trump-Rally. Das Verhältnis ist vielleicht vergleichbar mit jenem zwischen einem Fussballklub und seinen Ultras. Jake Angeli (33) zum Beispiel, der Gehörnte im Fellkostüm, tat seine krude Weltsicht schon in diversen Video-Interviews am Rande von Wahlveranstaltungen kund.
Die Eskalation auf dem Kapitolshügel war also keineswegs eine unvorhersehbare Wendung, wie Trump-Versteher in aller Welt, auch in der Schweiz, suggerieren (die Geschehnisse seien «jenseits von Gut und Böse», sagt etwa Publizist Markus Somm den Tamedia-Blättern, um gleich darauf Joe Biden und die Antifa zu bemühen). Nein, die Kongressbesetzung ist die Frucht einer vier Jahre andauernden Verschiebung politischer Grenzen.
Die plötzliche Sanftmut, mit der Trump am Freitag seine Niederlage eingestand und den Skandal vom 6. Januar verurteilte, ist daher leicht durchschaubar. Sie dient seinem Schutz vor einem möglichen Amtsenthebungsverfahren. Den Randalierern drohen hohe Haftstrafen, während sich ihre politischen Wegbereiter aus dem Staub machen.
Vielleicht werden die Kapitol-Eindringlinge dereinst erkennen, was sie waren: Kanonenfutter eines Populisten, nützliche Idioten für den Machtpoker in Washington. Manche merken es: «Die Leute waren bereit, für diesen Mann zu sterben, und er wirft sie unter den Bus», twitterte der rechtsextreme Kommentator Nick Fuentes (22) nach Trumps Einlenken.
Propagande von Mob und Elite
Es sollen hier keine Nazi-Vergleiche gezogen werden, aber als die Autorin Hannah Arendt nach dem Zweiten Weltkrieg die Entstehung totalitärer Tendenzen erforschte, kam sie zum Schluss, dass ein «zeitweiliges Bündnis zwischen Mob und Elite» dafür die Bedingung sei. Dieser Zusammenschluss, sagt Arendt in einem viel zitierten Satz, beruhe «weitgehend auf dem echten Vergnügen, das der Mob der Elite bereitete, als er daranging, die Respektabilität der guten Gesellschaft zu entlarven». Das erinnert an Trumps Anti-Establishment-Rhetorik, aber auch an die Filmaufnahme seines Sohnes Donald Jr. am Mittwoch im Familienkreis, der schelmisch grinsend den Propaganda-Anlass in Washington verfolgt.
Donald Trump, der Milliardär aus Manhattan, hat es geschafft, dass Amerikaner, die ihr Leben am Existenzminimum in Trailerparks fristen, mit Stolz auf die Börsenrekorde unter seiner Präsidentschaft verweisen. Von diesem Sog hat auch die republikanische Partei profitiert. Nun aber zahlt sie den Preis dafür.
Dass Trumps republikanische Getreue im letzten Moment das sinkende Schiff verlassen, ist nur noch Schadensbegrenzung. Um eine Debatte über die Zeit nach Trump wird die Partei nicht umhinkommen. Neben dem Bruch mit engsten Mitstreitern trifft den Nochpräsidenten ein weiterer empfindlicher Verlust: Der Kurznachrichtendienst Twitter hat definitiv Trumps Profil gesperrt. «Account suspended», steht jetzt dort.
Kommen die Demokraten mit ihrem Impeachment-Verfahren durch, heisst es womöglich bald «President suspended».
Die Inauguration von Joe Biden (78) am 20. Januar wird historisch: Erstmals nach 152 Jahren wird der Vorgänger nicht an der Amtseinführung seines Nachfolgers anwesend sein. Das hat jedenfalls Nochpräsident Donald Trump (74) angekündigt. Vor allem aber geht nach dem Sturm von Trump-Anhängern aufs Kapitol am 6. Januar die Angst vor neuen Gewaltexzessen um. Wie CNN berichtet, warnen Experten vor Anschlägen von Rechtsextremen. «Wir werden die Regierungsgebäude stürmen, Bullen, Beamte und Agenten töten», zitiert der US-Sender einen Social-Media-Eintrag. «Falls du nicht weisst wie schiessen, lerne es JETZT», lautet ein anderer Eintrag im Vorfeld der Feier. Sicherheitsexperte John Scott-Railton von der Uni Toronto sagt, dass die Ereignisse im Kapitol in rechten Netzwerken als Erfolg gefeiert werden und erst recht zu weiteren Angriffen anstacheln. Bidens Sicherheitsstab leite entsprechend Massnahmen zum verstärkten Schutz ein.
Die Inauguration von Joe Biden (78) am 20. Januar wird historisch: Erstmals nach 152 Jahren wird der Vorgänger nicht an der Amtseinführung seines Nachfolgers anwesend sein. Das hat jedenfalls Nochpräsident Donald Trump (74) angekündigt. Vor allem aber geht nach dem Sturm von Trump-Anhängern aufs Kapitol am 6. Januar die Angst vor neuen Gewaltexzessen um. Wie CNN berichtet, warnen Experten vor Anschlägen von Rechtsextremen. «Wir werden die Regierungsgebäude stürmen, Bullen, Beamte und Agenten töten», zitiert der US-Sender einen Social-Media-Eintrag. «Falls du nicht weisst wie schiessen, lerne es JETZT», lautet ein anderer Eintrag im Vorfeld der Feier. Sicherheitsexperte John Scott-Railton von der Uni Toronto sagt, dass die Ereignisse im Kapitol in rechten Netzwerken als Erfolg gefeiert werden und erst recht zu weiteren Angriffen anstacheln. Bidens Sicherheitsstab leite entsprechend Massnahmen zum verstärkten Schutz ein.