Woran starb der im Gefängnis in Prizren inhaftierte Astrit Dehari (†26) wirklich? Diese Frage bewegt den Kosovo seit 2016. Seine Familie glaubt: Der in Bern geborene kosovarische Politaktivist soll an jenem 5. November umgebracht worden sein.
Die Behörden hatten bisher immer behauptet, dass sich Dehari mit Medikamenten in seiner Zelle selbst umgebracht habe. Ein rechtsmedizinisches Gutachten aus Lausanne widerlegt nun diese Darstellung.
«Erhebliche Gewalteinwirkung»
Im 58-seitigen Bericht heisst es: «Die Verletzungen deuten auf einen klassischen Fall von Erstickung (also durch Fremdeinwirkung) hin. In seinem Hals wurde eine Plastikflasche mit einem Durchmesser von 6 Zentimeter gefunden.» Die Flasche sei durch erhebliche Gewalteinwirkung in den Hals gesteckt worden.
Tomë Gashi, der Anwalt der Familie, der die Gefängniszelle nach dem Todesfall aufsuchte, fand denn auch keine Medikamente oder Verpackungen am Tatort. Im Gegenteil: Er fand Blutspuren. «Es hat ein Kampf um Leben und Tod stattgefunden.»
«Keine Anzeichen einer Depression»
Dehari sass wegen seiner angeblichen Beteiligung am Angriff aufs Parlamentsgebäude in Haft. Tote oder Verletzte gab es damals nicht. Die Autopsie aus Lausanne führte in den kosovarischen Medien und der Gesellschaft zu hitzigen Diskussionen.
Die Witwe des Verstorbenen, Arta Dehari (31), sagt nun zu BLICK, dass ihr Mann damals keine Anzeichen einer Depression gehabt habe, keine Verzweiflung geäussert habe. Die «warmherzige» Natur ihres Mannes habe auch im Gefängnis nicht nachgelassen. Als sie mit ihm in Kontakt treten durfte, habe er seine schwangere Frau und die Familie immer beruhigt.
«Das war eine Verschwörung!»
Dehari wurde Ende August 2016 zusammen mit fünf weiteren Aktivisten verhaftet. Beschuldigt wurden sie, das Parlamentsgebäude angegriffen zu haben. Witwe Arta Dehari: «Ich glaube das nicht. Das war eine Verschwörung, um die Partei Vetëvendosje als Terrororganisation zu etikettieren.»
Die Verhaftung sei traumatisierend gewesen: «Sie traten am frühen Morgen die Türe ein und waren sehr gewalttätig.» Die Behörden informierten sie zunächst nicht darüber, was los sei.
Sein Vater Avni erinnert sich: «Uns hat ein Unbekannter angerufen, der sich als Sozialarbeiter ausgab. Aussagen über Todesursache und Ort des Todes konnte er nicht machen. Alles Weitere haben wir über die Medien erfahren.» Einmal hiess es, er sei an einer Überdosis von Medikamenten gestorben.
Schweiz beigezogen
Aber nicht nur die Familie wird misstrauisch: Nebst den Mordvorwürfen beschuldigt die Partei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) den zuständigen Staatsanwalt und die damalige Justizministerin, die Ermittlungen behindert zu haben.
Dies sei auch der Grund gewesen, weshalb die Familie – mit Hilfe der Öffentlichkeit, die ohnehin an der offiziellen Version zweifelte – Druck auf die Behörden ausübte und der Fall an ausländische Behörden übergeben wurde.
Justizexperten aus den USA
Deharis Familie wollte unbedingt Lausanne hinzuziehen: «Ich habe Jahre lang in der Schweiz gelebt. Die Institutionen dort sind nicht korrupt. Sie arbeiten exakt. Politisches hat dort in den Institutionen nichts zu suchen!»
Wie es im Verfahren im Kosovo weitergeht, ist noch offen. Generalstaatsanwalt Aleksandër Lumezi kündigte laut «Tages-Anzeiger» an, seine Behörde werde Justizexperten aus den USA engagieren, um die Aufklärung des Falls zu beaufsichtigen.