Wer Politik macht, muss mit dem Volk persönlich in Verbindung treten. Denn was überzeugt mehr, als sein Vorhaben in einer packenden Rede live und direkt an die Bürgerinnen und Bürger zu richten?
Rhetorische Mittel setzt auch US-Präsident Joe Biden (78) in seinen öffentlichen Auftritten ein. Während des Vortragens spielt er mit Rhythmuswechseln, Pausen und unterschiedlichen Lautstärken. Letzteres Mittel treibt er an die Spitze, was auf viele Zuhörerinnen und Zuhörer befremdlich wirkt. Denn der US-Präsident geht vom Sprechton auch mal in den Flüsterton über.
Plötzlicher Wechsel vom Sprech- zum Flüsterton
So auch in seiner Rede, die Biden Ende Juni in den Verkehrsbetrieben in La Crosse im Bundesstaat Wisconsin hielt. Inhalt der Rede waren die Reparaturen von Strassen und Brücken, bis er das Thema wechselte – und zwar, indem sich der Präsident vorbeugte und mit einer leisen Stimme sagte: «Ich finde, wir sollten den normalen Leuten eine Steuerpause gönnen. Den Reichen gehts doch gut.»
Bei einer anderen Pressekonferenz des Weissen Hauses im Juni, als es um das 973-Millionen-Dollar-Paket für die Infrastruktur ging, sorgte Bidens Auftritt auch für Schmunzeln. Auf die Frage, wann die Familien mit zusätzlichen finanziellen Hilfen rechnen könnten, antwortete er flüsternd: «Ich habe ihnen schon mit Erleichterungen von 1,9 Milliarden Dollar geholfen. Sie werden gewichtige Schecks in ihren Briefkästen finden.»
Sprachmethode von früher
Die Flüsterbotschaften des Präsidenten sind klar zu verstehen. Warum Biden aber auf eine Flüsterstimme wechselt, ist vielen unklar. Ein möglicher Grund für die Wahl dieses rhetorischen Mittels liefert Vanessa Beasley, Dozentin für Kommunikationswissenschaften an der Vanderbilt University in Tennessee.
Diese Sprachmethode soll aus früheren Zeiten stammen, als die Beziehung zwischen Politikern und Hauptstadtjournalisten noch anders war. «Ich denke, das ist eine symbolische Geste von Nähe und Vertrautheit», sagt Beasley zu «Detroit News».
Biden, der schon seit 40 Jahren Senator und Vizepräsident ist, hat diese Art der Kommunikation also selbst miterlebt und mitgenommen.
Kritik am Flüstern, weil es sonst nichts zu kritisieren gibt
Die sprachliche Geste, die Vertrautheit schaffen soll, bietet Kritikern und Komikern eine Angriffsfläche: Kayleigh McEnany (33), die bis Januar Pressesprecherin im Weissen Haus war, soll Bidens Flüstern als «eigenartig» und «verrückt» bezeichnet haben.
Der Komiker Stephen Colbert (57) äffte den Präsidenten nach und flüsterte in seiner Performance ins Mikrofon: «Herr Präsident, Herr Präsident. Sie wissen, ich bin Fan von Ihnen. Aber die Art, wie Sie sich vorbeugen und flüstern, wissen Sie, das ist ein klein wenig unheimlich.»
Weisses Haus wiegelt ab
Das Weisse Haus halte nicht viel von dieser Diskussion und verteidige den Präsidenten, schreibt die «Detroit News» weiter: «Die Konservativen kritisieren ihn, weil sie den Wählern sonst keine anderen Kritikpunkte liefern können.»
Der Vizepressesprecher des Weissen Hauses, Andrew Bates, betont die positiven Veränderungen, die im Verlauf von Bidens Amtszeit stattgefunden haben: «Die Zahl der Corona-Infektionen ist um mehr als 90 Prozent gesunken, wir haben so viele Jobs geschaffen wie noch nie und die Wirtschaft wächst so stark wie seit 40 Jahren nicht mehr.» (une)