Die Entbindung ihres ersten Kindes war für Nahia Alkorta (36) ein traumatisches Erlebnis. Das Krankenhauspersonal nahm bei der Spanierin ohne ihr Einverständnis einen Kaiserschnitt vor, während ihre Arme fixiert waren und sie ohne ihren Mann an ihrer Seite vor Angst zitterte. Spanische Gerichte erkannten Alkortas Vorwurf der Gewalt in der Geburtshilfe nicht an, doch die Vereinten Nationen gaben ihr im Juli recht.
Seitdem haben sich schon mehr als hundert Frauen an Alkorta gewandt, um ihr zu erzählen, «dass sie das Gleiche erlebt haben», sagt die 36-jährige Mutter von mittlerweile drei Kindern, die in der baskischen Ortschaft Zizurkil lebt. Gewalt in der Geburtshilfe scheint in Europa ein verbreitetes Problem zu sein.
«Man redet nicht darüber»
Alkorta kämpft seit zehn Jahren darum, dass das von ihr erlittene Unrecht anerkannt wird. Von den Erlebnissen bei ihrer ersten Entbindung 2012 trug sie eine Posttraumatische Belastungsstörung davon, sie litt unter Alpträumen und Schlaflosigkeit - und erlebte, dass Gewalterlebnisse bei der Entbindung ein Tabu sind.
«Man redet nicht darüber wegen des Schmerzes, den das hervorruft, wegen der Scham und weil es die Vorstellung gibt, dass das nun mal so ist, und damit basta», sagt Alkorta.
Opfer grundloser Gewalt
Schliesslich erwirkte sie aber, dass der Ausschuss der Uno-Frauenrechtskonvention (Cedaw) sie als Opfer grundloser Gewalt bei der Entbindung anerkannte und den spanischen Staat zu einer angemessenen Entschädigung aufrief. Der Ausschuss hob ausserdem hervor, dass solche Gewalt ein «sehr verbreitetes und in den Gesundheitssystemen verwurzeltes Phänomen» sei.
Vor Alkortas erster Entbindung war in der 38. Schwangerschaftswoche die Fruchtblase geplatzt. Im staatlichen Krankenhaus in San Sebastián bekam sie ohne weitere Erläuterungen durch das Personal Oxytocin, um die Geburt einzuleiten – obwohl sie bereits Wehen hatte. Die Antworten des Personals auf ihre Fragen seien immer aggressiver geworden, erinnert sich Alkorta.
Arme fixiert
Am Tag nach ihrer Einlieferung entschieden die Ärzte, Alkortas Sohn per Kaiserschnitt zu holen – ohne das Einverständnis der werdenden Mutter einzuholen und obwohl ihr eine Hebamme gesagt hatte, dass der Geburtsprozess vorankomme.
Mit fixierten Armen, wie es in manchen Krankenhäusern bei Kaiserschnitten üblich ist, wurde der Eingriff vorgenommen. Alkorta zitterte vor Angst, das Personal liess ihren Mann nicht zu ihr. «Ich habe mich ihnen völlig ausgeliefert gefühlt», sagt sie.
«Keine Geburt à la carte»
Spanische Gerichte wiesen ihre Klage wegen Gewalt in der Geburtshilfe allerdings ab. Der spanische Staat erklärte in seiner Stellungnahme an den Cedaw-Ausschuss, es gebe «keine Geburt à la carte», die Entscheidung über medizinische Eingriffe liege «allein» bei den Ärzten.
«Ich wollte keinesfalls eine Entbindung ‹à la carte›, ich wollte eine humane Behandlung und habe sie nicht bekommen», sagt Alkorta. Ihre Anwältin Francisca Fernández Guillén sagt, dass medizinisches Personal, aber auch Angehörige der Frauen traumatisierende Erlebnisse bei der Entbindung oft herunterspielten und dazu rieten, «das Geschehene zu vergessen».
Angeblich auch in der Schweiz ein Problem
Es gibt keine umfassenden Daten zu dem Problem in Europa, auch in der Schweiz nicht, wie der Bundesrat vor wenigen Jahren erklärte. Menschenrechtsgruppen versichern aber, dass Frauen bei Entbindungen regelmässig unter grobem und erniedrigendem Verhalten des medizinischen Personals zu leiden haben.
In manchen Ländern wie Spanien und Italien wurden spezielle Beschwerdestellen für Gewalt bei Entbindungen eingerichtet. Gerichtsverfahren sind aber allgemein selten.
Laut dem Vize-Präsidenten des spanischen Hebammenverbands Fame, Daniel Morillas, besteht aber Grund zur Hoffnung. Beim medizinischen Personal wachse das Bewusstsein für die Rechte der werdenden Mutter, sagt er. Bei dem Thema bleibe noch viel zu tun, aber das «Erste, was man tun muss, um Gewalt in der Geburtshilfe zu bekämpfen, ist ihre Existenz anzuerkennen». (SDA)