Machtkampf beendet
Iraks Parlament stimmt neuem Regierungschef zu

Mit der Wahl einer neuen Regierung hat das irakische Parlament ein monatelanges Machtvakuum in dem Krisenland beendet. Auf den neuen Ministerpräsidenten Mustafa al-Kasimi wartet jedoch eine lange Liste mit Problemen.
Publiziert: 07.05.2020 um 16:07 Uhr
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Der Irak hat endlich einen neuen Regierungschef gewählt.
Foto: AFP

Das Land erlebt nicht nur eine schwere politische Krise, sondern steht wegen des niedrigen Ölpreises und der Corona-Pandemie vor einem wirtschaftlichen Absturz. Zudem droht eine Eskalation des Konflikts zwischen den USA und dem benachbarten Iran.

Das Parlament hatte Al-Kasimi am frühen Donnerstagmorgen (Ortszeit) das Vertrauen ausgesprochen und auch 15 Minister seines Kabinetts abgesegnet. Die Stunden vor der Abstimmung verdeutlichten jedoch noch einmal, wie schwer die Regierungsbildung war. Bis kurz vor Beginn der Sitzung rang der schiitische Politiker mit den politischen Blöcken um die Besetzung hoher Posten. Am Ende fielen fünf Minister bei der Abstimmung durch. Über den Aussen- und den Ölminister wurde gar nicht erst abgestimmt, da es vorab keine Einigung auf Kandidaten gab.

Schiiten geben den Ton an

Die Postenvergabe erfolgt im Irak nach einem Proporzsystem, das nach dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein 2003 entstand. Dabei werden die wichtigen Ämter unter den Schiiten, den Sunniten und den Kurden, aber auch unter den verschiedenen politischen Blöcken verteilt. Weil die Schiiten im Irak die Mehrheit bilden, geben ihre Parteien massgeblich den Ton an. Kritiker sehen in diesem System einen der Hauptgründe für die im Irak weit verbreitete Korruption.

Im Hintergrund ringen zudem die USA und der schiitische Nachbar Iran, der gute Kontakte zu mehreren Parteien und Milizen im Irak pflegt, um Einfluss. Vor Al-Kasimi war es zwei mit der Regierungsbildung beauftragten Politikern nicht gelungen, eine Mehrheit zu finden.

Der neue Regierungschef gilt als Kompromisskandidat. Er war trotz Vorbehalten einiger Parteien für alle wichtigen Kräfte akzeptabel. Als gutes Zeichen kann es gewertet werden, dass sowohl US-Aussenminister Mike Pompeo als auch sein iranischer Kollege Mohammed Dschawad Sarif die Wahl des neuen Ministerpräsidenten am Donnerstag begrüssten.

Ex-Geheimdienstchef übernimmt Regierung

Mit dem 53-jährigen Al-Kasimi übernimmt ein Ex-Geheimdienstchef die Regierung. Ihm fehlt jedoch politische Erfahrung. Zudem verfügt er über keine politische Hausmacht, was seine Aufgabe weiter erschwert. Doch er besitzt allgemein einen guten Ruf. Mitte der 1980er Jahre war er aus dem Irak geflohen und über Deutschland nach Grossbritannien gekommen. Nach Saddams Sturz leitete er bis 2010 die Iraq Memorial Foundation, die Verbrechen unter dem Diktator dokumentiert.

Rücktritt wegen Protesten

Al-Kasimi folgt auf Adel Abdel Mahdi, der im vergangenen Jahr nach monatelangen Protesten gegen die politische Führung und die schlechte Wirtschaftslage seinen Rücktritt eingereicht hatte. Er übernimmt ein Land, das mit einer schweren Wirtschaftskrise kämpft, die durch die Corona-Pandemie weiter verschärft wird. Die Armut wächst. Wegen des niedrigen Ölpreises brechen die Staatseinnahmen des ölreichen Landes weg. Auch der Unmut der Bevölkerung steigt weiter, was die Menschen zu neuen Massenprotesten zurück auf die Strasse bringen könnte.

Abzug von US-Truppen

Nicht zuletzt droht auch eine Eskalation des Konflikts zwischen den einflussreichen Iran-treuen Milizen des Landes und den USA. Die bewaffneten Gruppen verlangen den Abzug der US-Truppen. In den vergangenen Wochen waren mehrfach Militärstützpunkte, die die US-Armee nutzt, mit Raketen beschossen worden. Washington machte dafür Iran-treue Milizen verantwortlich. Angesichts dieser heiklen Lage kam die irakische Nachrichtenseite Shafaaq News am Donnerstag zu ernüchternden Aussichten: «Ohne den Pessimismus zu übertreiben braucht Al-Kasimi zweifellos ein Wunder», schrieb sie.

IS-Angriffe häufen sich

Über dieser schwierigen Gemengelage schwebt die Gefahr einer Rückkehr der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die 2017 im Irak militärisch besiegt worden war. Zellen der Extremisten sind weiter aktiv. In den vergangenen Wochen häuften sich Berichte über IS-Angriffe. Es gehört zu den Strategien der Dschihadisten, sich Machtvakua, schwache Regierungen und Wirtschaftskrisen zunutze zu machen. (SDA)

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Während Sunniten eine Trennung von Religion und Staat befürworten (Kalifat), folgen die Schiiten ihrem spirituellen Führer, dem Imam. Sunniten stellen die grösste Glaubensrichtung innerhalb des Islams dar. Sie sind in den meisten islamischen Ländern in der Überzahl, im Libanon jedoch nicht.

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