Hat Europa die Terrorgefahr verpennt? Schon nach den Anschlägen in Paris hatten die EU-Innenminister ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus bekräftigt und versprochen, die Sicherheitszusammenarbeit voranzutreiben.
Nun, etwas mehr als vier Monate danach, mussten sie sich heute in Brüssel erneut zu einer Terror-Krisensitzung treffen – keine 300 Meter von der Metrostation entfernt, an der sich am Dienstag Khalid El Bakraoui in die Luft gesprengt und 20 Menschen in den Tod gerissen hatte. Z
urecht drängt sich die Frage auf: Wird sich nach den Anschlägen von Brüssel nun endlich etwas ändern?
«Terrorismus ist schnell, Europa oft langsam»
Schon in den nächsten Wochen wolle man konkrete Fortschritte beim eigentlich bereits vereinbarten Austausch von Fluggastdaten sehen, so der Konsens der Minister beim heutigen Treffen in Brüssel.
Auch wolle man die Sicherheitsmassnahmen besser umzusetzen, auf man sich bereits im Grundsatz verständigt habe. Dazu gehörten effektive Grenz- und Personenkontrollen sowie der Kampf gegen gefälschte Papiere und gegen den Verkauf von Chemikalien, die zum Bombenbau geeignet sind.
EU-Innenkommissar Dimitris Avramopolous, der bereits gestern harte Töne angeschlagen hatte, monierte auch heute wieder: «Wir müssen miteinander reden.» Nationale Behörden dürften ihre Informationen nicht voreinander abschotten, forderte er. «Der Terrorismus ist schnell, aber Europa ist oft langsam», sagte Italiens Innenminister Angelino Alfano.
«Wir brauchen keine neuen Pläne»
In einer gemeinsamen Erklärung bekräftigten die Minister ihre Entschlossenheit, «die an den Anschlägen in Paris und Brüssel beteiligten Netze und andere vergleichbare Netze zu ermitteln».
Bis Juni soll sich ausserdem die EU-Kommission gemeinsam mit Experten überlegen, wie Informationen über Terroristen besser erhoben, überprüft und verknüpft werden können.
Als nützlich erwiesen sich aus Sicht der Minister insbesondere grenzüberschreitende Ermittlungsgruppen, die nach den Terroranschlägen im November in Paris gebildet wurden. Belgiens Justizminister Koen Geens lobte den Beitrag dieser Teams zur Strafverfolgung als wertvoll.
Neue Ideen wollen die Staaten hingegen vorerst nicht umsetzen. «Wir brauchen keine neuen Pläne», sagte der niederländische Innenminister Ronald Plasterk, dessen Land derzeit den Vorsitz bei Ministertreffen der EU-Staaten hat. «Wir müssen die Massnahmen, die schon zuvor ergriffen und beschlossen worden sind, voll umsetzen.»
Knatsch um Fluggastdaten
Druck machten die Staaten auch im Zwist mit dem EU-Parlament um den Austausch von Fluggastdaten. Die entsprechende EU-Richtlinie müsse noch im April angenommen und «dringend umgesetzt werden», drängten die Minister.
Unterhändler von EU-Staaten und EU-Parlament hatten sich bereits im vergangenen Jahr darauf verständigt, dass persönliche Daten von Fluggästen wie Name, Kreditkartennummer und Essenswünsche künftig auf Vorrat gespeichert werden. Das Parlament hingegen verlangt zunächst die formelle Annahme der ebenfalls schon dem Prinzip nach vereinbarten EU-Datenschutzreform durch die EU-Staaten.
Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve, der bei dem Thema rasche Fortschritte sehen will, hielt dagegen: Dem Parlament seien «alle Datenschutz-Garantien» zugesichert worden. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière stufte die Bedenken «angesichts der Dramatik der Situation» als nicht gerechtfertigt ein.
Eine Frage der Mentälität
Einen Mangel an Vertrauen gibt es aber auch unter den EU-Staaten, wenn es an den Austausch von Informationen geht. «Viele nationale Behörden wollen nicht mit allen anderen ihre Informationen teilen», beklagte de Maizière. «Diese Mentalität muss man ändern.» Allerdings habe sich die Lage zuletzt schon verbessert.
Auch der Anti-Terror-Koordinator der EU, Gilles de Kerchove, hatte den mangelnden Austausch jüngst in einem Bericht bemängelt. Wenn es um ausländische Kämpfer gehe, seien mehr als 90 Prozent der Daten im vergangenen Jahr von gerade einmal fünf EU-Staaten geliefert worden.
Er bezog sich dabei auf eine Datenbank der europäischen Polizeibehörde Europol. Die Länder nannte er nicht beim Namen. (gr/SDA)