Die Feuerpause in Syrien steht unter einem schlechten Stern. Eigentlich hätten die Waffen bereits vor einer Woche schweigen sollen. Doch das Inkrafttreten des am 12. Februar vereinbarten Deals wurde verschoben. Die USA und Russland haben nun nach einem Telefonat zwischen dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama und seinem russischen Kollegen Wladimir Putin den Start auf Mitternacht festgelegt. Das ist heute um 23 Uhr Schweizer Zeit.
Die Erwartungen an das Abkommen sind bescheiden. «Wir erwarten nicht, dass die Gewalt sofort aufhört», sagt Obama. Putin bezeichnet den geplanten Friedensprozess als «schwierig», aber zur Lösung des Konflikts gebe es «keinen anderen Weg». Auch die türkische Regierung ist skeptisch: «Im Prinzip unterstützen wir diese Waffenruhe», sagt ein Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu erklärt, man fühle sich nicht an die Waffenruhe gebunden, falls die Angriffe durch die syrische Kurdenmiliz YPG anhalten sollten.
Interessenkonflikte
Die kurdischen YPG-Kämpfer gehören zu den wichtigsten Verbündeten der von den USA angeführten Koalition gegen die Terror-Miliz des Islamischen Staats (IS). Gleichzeitig ist YPG ein erklärter Feind der Türkei, die ebenfalls Teil der Anti-IS-Koalition ist. Die türkische Armee hat in den vergangenen Wochen YPG-Stellungen wiederholt beschossen. Die Kurden behalten sich ihrerseits das Recht zu Gegenschlägen vor, sollten sie während der Feuerpause angegriffen werden.
Unübersichtliche Rebellengruppen
Bis heute Mittag hatten die in Syrien kämpfenden Rebellengruppen Zeit, der Waffenruhe zuzustimmen. Fast 100 oppositionelle Milizen haben dies getan. Auch YPG gehört dazu. Ein kompletter Stopp der Kampfhandlungen wird trotzdem einen schweren Stand haben, denn Terrorgruppen wie der IS und die mit Al-Kaida verbandelte Al-Nusra-Front wurden explizit vom Friedensprozess ausgeschlossen und können somit weiterhin kämpfen und bekämpft werden.
Die Konfliktparteien sind sich ohnehin uneinig darüber, welche Kämpfer als Terroristen und welche als Rebellen oder Oppositionelle zu bezeichnen sind. In den Augen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und seines engsten Verbündeten Putin handelt es sich schlicht bei allen Regierungsgegnern um Terroristen. Die USA und ihre Verbündeten auf der anderen Seite legen Schwierigkeiten an den Tag, sich von Gruppen wie der Al-Nusra-Front oder anderen dschihadistischen Einheiten zu distanzieren. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die unterschiedlichen Milizen der Regierungsgegner teilweise zusammenarbeiten und sich manchmal auch durchmischen.
Um der Waffenruhe eine Chance zu geben, haben sich die Konfliktparteien dazu durchgerungen, dass die UNO bestimmt, welche Gruppen als Terrororganisationen gelten. Angesichts der Vielzahl der Rebellengruppen, der Vernetzung zwischen ihnen und des ständigen Wandels ihrer Territorien sind Fehler und Missverständnisse jedoch programmiert – schliesslich sollen die richtigen Terroristen trotz Feuerpause geschlagen werden: Aber welche Gruppe kämpft wo? Gegen wen? Und mit welchen Verbündeten?
Blutiger Schlussspurt
Vor dem Inkrafttreten der Waffenruhe haben die Konfliktparteien heute versucht, im letzten Moment noch Geländegewinne zu erzielen. Dies könnte die Friedensbemühungen zusätzlich erschweren. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte vermeldet Dutzende Luftangriffe auf Rebellenstellungen in mehreren Provinzen. Die Kampfhandlungen sollen heftiger gewesen sein als in letzter Zeit. Mehrere Menschen seien getötet worden.