Wladimir Putin scheint seinen Krieg nicht bis zum Äussersten treiben zu wollen. Bei seiner Rede zum «Tag des Sieges» am 9. Mai verkündete er jedenfalls nicht die von vielen prophezeite Generalmobilmachung. Im Westen wurde dies erleichtert zur Kenntnis genommen, aus der Ukraine waren sogar euphorische Töne zu hören.
Eine Zeitung aus Kiew berichtete am Dienstag unter Berufung auf Geheimdienstkreise, der Kreml habe den russischen Medien befohlen, das Publikum auf eine Niederlage in der Ukraine vorzubereiten. Nur: Wie realistisch ist dieses Szenario?
Gleich nach der Rede zum «Tag des Sieges» erschien auf der Website von Putins Lieblingszeitung «Komsomolskaja Prawda» ein Artikel unter der langen Überschrift: «Der Westen erwartete von Putin eine Kriegserklärung und eine Generalmobilmachung. Aber wozu? Es läuft alles nach Plan.»
Vor Putins Ansprache stand in den russischen Medien keine Zeile über die Erwartungen des Westens – jetzt freut man sich diebisch, dass diese Erwartungen ins Leere gelaufen sind.
Der Putinismus hat seinen Anhängern ideologisch nichts zu bieten als das Feindbild Westen. Und so wird selbst aus einer ausgebliebenen Generalmobilmachung eine Spitze gegen die «Feinde Russlands» gedreht.
Das wäre zum Lachen, wenns nicht so traurig wäre. Putin mag den Krieg derzeit vielleicht nicht zusätzlich ausweiten. Eine Niederlage aber wird er unter keinen Umständen eingestehen. Und Frieden gibt es mit diesem Präsidenten ohnehin nie. Putin braucht den Krieg, er braucht den Feind und die angeblich immerwährende Bedrohung von aussen, um sein Unrechtsregime zu legitimieren.