Die kleine Alice ist ein Sorgenkind. Es kommt am 4. März 2020 als Frühchen zur Welt. Die Ärzte des Kinderspitals in Verona (I) beruhigen Mutter Elisa Bettini (36). Das Baby wiege doch schon zwei Kilo. Bald könne Alice nach Hause. Was die Familie nicht ahnt: Nicht die Frühgeburt bedroht das Neugeborene, sondern ein unheimliches Killer-Bakterium.
Elisa Bettini besucht ihre Tochter jeden Tag in der Neugeborenen-Intensivstation. Dem Baby geht es zusehend schlechter. Es hat hohes Fieber. Eine Hirnhautentzündung, so die Diagnose. Verursacht durch das Citrobacter. Am 22. Mai wird das Baby trotzdem aus dem Krankenhaus entlassen, darf heim zu den Eltern.
«Das Bakterium frass das Hirn unseres Kindes. Alice bekam epileptische Anfälle. Ihr Kopf schwoll auf 45 Zentimeter Umfang an», erzählt die verzweifelte Italienerin im Interview mit «La Stampa». Fünf Monate lang ziehen die verzweifelten Eltern von Spital zu Spital. Von Abteilung zu Abteilung. Niemand kann helfen. Im Juni geben die Ärzte das kleine Mädchen auf. Am 16. August ist Alice tot.
Auch die kleine Nina starb am Killer-Bakterium
Auch Francesca Frezza hat das Schreien ihrer kleinen Nina noch im Ohr. Neun Tage durfte ihre Tochter leben. Am 18. November 2019 starb sie qualvoll an einer Blutvergiftung. Folge einer Citrobacter-Infektion. Die Italienerin verklagt im Juni darauf das Ospedale della Mamma e del Bambino di Borgo Trento. Das Kinderspital von Verona weist jede Verantwortung von sich. Doch der Stein kommt ins Rollen.
Immer mehr Eltern melden sich. Auch ihre Babys sind erkrankt. Manche haben bleibende Hirnschäden. Zwei weitere Babys sind tot. Eine Expertenkommission soll die mysteriösen Ansteckungen und Todesfälle untersuchen. Patientenakten werden durchforstet, Geräte und Räumlichkeiten unter die Lupe genommen sowie das Personal befragt, schreibt das Online-Portal Südtirol News.
Hygienevorschriften wurden missachtet
Die Spur führt auf die Intensivstation des Kinderspitals von Verona, wo Alice und Nina zur Welt kamen. Das Resultat: Der Wasserhahn der Abteilung war von einer regelgerechten Kolonie des gefährlichen Bakteriums befallen. Für die Experten steht fest: Hier wurden über Jahre die strengen Hygienevorschriften missachtet, was die Einnistung und Verbreitung des Citrobacters verursacht hat.
Das Killer-Bakterium wird auf sämtlichen Nuckel der Fläschchen gefunden. Offenbar wurden diese nicht sterilisiert, sondern lediglich unter dem Wasserhahn abgespült und den Babys in den Mund gesteckt. Die Hände des Personals wurden mit dem verseuchten Wasser gewaschen. Da aber nicht alle Handschuhe trugen, landete das Bakterium auf den Neugeborenen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Unbekannt. Angeklagt wurde bislang niemand.
Kreissaal und Neugeborenen-Intensivstation wurden im Juni 2020 geschlossen. Doch gestern gab das Kinderspital die Wiedereröffnung bekannt. Ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Eltern. «Wer schuld am Tod unserer Kinder ist, muss dafür gerade stehen», verlangt Elisa Bettini, «denn so grausam darf kein weiteres Baby sterben.»