Zwei Bilder stehen für die Katastrophe beim Public Viewing in Turin (I). Da ist die weinende Familie von Kelvin (7) auf der Intensivstation des Spitals Regina Margherita. Der kleine chinesische Bub wäre von der panischen Masse zu Tode getrampelt worden, hätte ihn Mohammad Guyule (20) nicht gerettet. Der Afrikaner zog Kelvin unter der tobenden Menge hervor. Jetzt kam es zu einem Treffen mit dem Helden von Turin.
Das andere Bild zeigt einen jungen Mann mit nacktem Oberkörper und einem Rucksack. Er steht mitten auf der Piazza San Carlo. Er hat die Arme ausgebreitet – und die Menge scheint sich in Panik von ihm abzuwenden. Sofort keimt der Verdacht auf: Hat dieser Bursche die Massenpanik ausgelöst, die Samstagnacht 1527 Menschen verletzte?
«Ich nahm all meinen Mut zusammen»
Zwei Tage nach dem blutigen Drama ums Uefa-Championsleague-Final kommen Held und Anti-Held von Turin zu Wort. Mohammad taucht gestern im Krankenhaus auf. Er will nach seinem Schützling sehen. Kelvins Schwester fällt ihm dankbar um den Hals.
«Ich sah wie das Kind unter den Füssen der fliehenden Masse verschwand», sagt Mohammad im Gespräch mit «La Repubblica». «Ich dachte, der Bub überlebt dies nicht», so der Retter. Er habe all seinen Mut zusammengenommen und die Menschen mit aller Kraft zur Seite geschoben, um Kelvin unter den trampelnden Füssen hervorzuziehen.
Die Familie Li wollte sich beim Retter bedanken
Dann habe er, das Kind im Arm, verzweifelt einen Arzt gesucht, sagt der Türsteher aus Turin. Kaum war Kelvin versorgt, ging Mohammad seiner Wege. Die Familie Li suchte ihn, um sich beim Retter zu bedanken.
Auch Davide Buraschi, der Juventus-Fan mit dem nackten Oberkörper, tritt an die Öffentlichkeit. Im Interview mit «Il Messagero» klagt der Lagerarbeiter aus Mailand: «Ich wurde als Monster dargestellt. Dabei wollte ich nur den Menschen die Angst nehmen. Ich bin völlig falsch verstanden worden.»
Er wollte die Menschen beruhigen
Als die Massenpanik losbrach, habe er sofort erkannt, dass es keinen Terroranschlag gab, sondern die Menschen durch Knallkörper aufgescheucht wurden. «Ich habe meine Arme langsam gehoben und gesenkt, um die Menschen zu beruhigen», sagt Davide Buraschi.
Stundenlang wurde der Mailänder von der Polizei festgehalten. Aber nicht als Terror-Verdächtiger, betont Davide Buraschi. «Ich bin ausschliesslich als Zeuge des Geschehens gehört worden», so der Juve-Fan, «ich habe ja nichts Böses getan.»