Wie ein Magnet zieht die Gegend von San Francisco Technologie-Unternehmen an. Firmen wie Google, Facebook oder LinkedIn haben sich in den vergangenen Jahren in der Umgebung der kalifornischen Metropole angesiedelt – und mit ihnen eine ganze Heerschar hochbezahlter IT-Angestellter.
Der Zuzug der gutverdienenden «Techies» – das Einstiegsgehalt eines einfachen Programmierers liegt bei 160'000 Dollar – hat die Mietpreise in der einstigen Hippie-Hochburg in schwindelerregende Höhen getrieben: Eine Einzimmer-Wohnung kostet im Schnitt 3'500 Dollar pro Monat.
Viele Alteingesessene können sich diese Preise nicht mehr leisten. Sie ziehen im besten Fall weg. Im schlechtesten Fall landen sie auf der Strasse. Mittlerweile zählt San Francisco rund 7000 Obdachlose.
Für langjährige Anwohner sind die Mitarbeiter der Technologie-Branche eine Landplage, die Wurzel allen Übels. Nicht wenige Neuzuzüger wiederum stören sich an all dem Elend, das sie sehen, wenn sie durch ihre rosa Google-Brillen blicken.
Einer von ihnen ist Justin Keller, ein IT-Unternehmer, der in einem aufsehenerregenden Blog-Beitrag seinem Unmut Luft verschafft – und den schwelenden Konflikt zwischen Arm und Reich weiter befeuert.
In dem «offenen Brief an San Franciscos Bürgermeister Ed Lee und Polizeichef Greg Suhr» drückt Keller seine Besorgnis aus über die «zunehmende Obdachlosigkeit und die Drogenproblematik, mit der die Stadt konfrontiert ist.»
Keller, der gerade Mal seit drei Jahren in San Francisco lebt, wählt dabei deutliche Worte: So bezeichnet er Randständige unverhohlen als «riff raff», was mit Gesocks oder Gesindel übersetzt werden kann.
«Auf meinem Weg zur Arbeit sehe ich jeden Tag Menschen, die ausgestreckt auf dem Trottoir liegen, Zelt-Städte, menschliche Fäkalien und die Gesichter der Sucht», schreibt Keller. «Die Stadt wird zu einem Elendsviertel. Und am schlimmsten: Die Stadt wird unsicher.»
Auf die Palme gebracht haben Keller offenbar drei Zwischenfälle, die sich am vergangenen Wochenende ereignet hatten, als er seine Eltern und weitere Verwandte zu Besuch hatte.
So berichtet der Unternehmer von einer «Auseinandersetzung zwischen Betrunkenen» auf einer Strasse, einer «zugedröhnten Person», die vor einem Restaurant «nach Kokain schrie und sogar versucht hat, seine Genitalien zu entblössen». Und einem Mann, der «in ein Kino stolperte, sich sein Hemd auszog und sich auf den Boden legte.»
In seinem Rundumschlag mangelt es Keller an jeglichem Verständnis für Menschen in Notlagen – lieber beschwert er sich über das Unbehagen der Wohlhabenden.
«Ich weiss, dass die Leute frustriert sind wegen der Gentrifizierung. Aber die Realität ist: Wir leben in einer freien Marktwirtschaft. Die Vermögenden haben ein Recht, in dieser Stadt zu leben. Sie arbeiten hart, sie haben es sich verdient. Ich sollte mir keine Sorgen darüber machen, belästigt zu werden. Ich sollte den Schmerz und die Verzweiflung der Obdachlosen auf meinem Weg zur Arbeit nicht zu sehen bekommen. Ich möchte, dass meine Eltern eine grossartige Erfahrung haben und diesen besonderen Ort geniessen können, wenn sie zu Besuch kommen.»
Keller glaubt, es werde eine Revolution geben, sollten die Verantwortlichen der Stadt die Probleme nicht umgehend anpacken. «Die Leute sind frustriert, du kannst die Wut spüren».
Eine Revolution ist bislang ausgeblieben. Dafür sieht sich Keller selbst mit einem massiven Shitstorm konfrontiert.
«Das ist der abstossendste Scheiss, den ich heute gelesen haben», schreibt ein User auf Twitter. Ein anderer meint: «Ich hoffe, dass jemand auf dich kackt, wenn du morgens zur Arbeit fährst.»
Dem britischen «Guardian» teilte Keller auf Anfrage mit, er sei lediglich frustriert darüber, dass sich die Bürger von San Francisco nicht mehr sicher fühlen. «Es war nicht meine Absicht, Obdachlose und Drogenkonsumenten zu verunglimpfen.»
Immerhin: Für den Begriff «Gesocks» hat sich Keller inzwischen entschuldigt. Die Bezeichnung sei «unsensibel und kontrapoduktiv gewesen». (bau)