Darum gehts
- Israel intensiviert Angriffe auf Gaza, Bodenoffensive möglicherweise gestartet
- US-Aussenminister Marco Rubio zweifelt an diplomatischer Lösung
- Mindestens 64'900 Palästinenser seit Beginn des Krieges getötet
Die Nacht über erschütterten Detonationen die Stadt Gaza. Feuerbälle stiegen in den Himmel, während Artillerie und Kampfflugzeuge die Metropole im Norden des Gazastreifens unablässig trafen. «Gaza brennt!» Mit diesen Worten beschreibt der israelische Verteidigungsminister Israel Katz (69) die Situation in Gaza Stadt am Morgen auf Telegram.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat örtlichen Medienberichten zufolge bei einem Prozess in Tel Aviv gesagt, Israel habe «eine intensive Operation in der Stadt Gaza begonnen». Ein Armeesprecher schrieb kurz zuvor in einem Post auf der Plattform X, Israel habe mit der Zerstörung der Infrastruktur der islamistischen Terrororganisation Hamas in der Stadt Gaza angefangen.
«Wir werden nicht nachlassen und nicht zurückweichen»
Nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa flogen israelische Kampfjets fast pausenlos Attacken auf die Stadt im Norden des Küstenstreifens, unterstützt von massivem Artilleriefeuer. Palästinensische Medien meldeten zudem, Panzer seien in die Stadt eingerückt – eine Bestätigung dafür liegt jedoch nicht vor. Die US-Plattform «Axios» berief sich auf israelische Quellen, wonach es sich um den Auftakt einer Bodenoffensive handeln könnte. Katz schrieb weiter: «Wir werden nicht nachlassen und nicht zurückweichen, bis die Mission abgeschlossen ist.»
Auch die israelische Seite «Walla» berichtete unter Berufung auf einen Mitarbeiter des Generalstabs, es habe eine «intensive Operation» begonnen, die «vielfältiges Feuer gegen zahlreiche Terrorziele» einschliesse. Man stehe «erst am Anfang». Die schweren Explosionen im Norden des Gazastreifens waren nach israelischen Medienberichten selbst in angrenzenden Orten Israels zu hören.
Rubio äussert Zweifel an diplomatischer Lösung
Kurz zuvor hatte US-Aussenminister Marco Rubio (54) Zweifel geäussert, ob der Gaza-Krieg auf diplomatischem Wege beendet werden kann. «Wenn es also nicht auf diese Weise endet, dann muss es durch einen militärischen Einsatz beendet werden», sagte er dem US-Sender Fox News bei seiner Reise in Israel laut Redemanuskript. Er glaube, dass Israel diesen Weg selbst nicht bevorzuge.
Das Forum der Angehörigen der von der islamistischen Terrororganisation Hamas festgehaltenen Geiseln äusserte grosse Besorgnis angesichts der Berichte über die in der Nacht begonnene Einnahme der Stadt Gaza. Nach 710 Nächten in der Gewalt von Terroristen «könnte heute Nacht die letzte Nacht für die Geiseln sein», hiess es in einer Erklärung des Angehörigenforums.
Angehörige von Geiseln kritisieren Netanyahu
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (75) entscheide sich bewusst dafür, «sie aus politischen Erwägungen zu opfern», hiess es. Er ignoriere dabei völlig die Einschätzungen des Generalstabschefs und der Sicherheitsbehörden, hiess es in der Mitteilung weiter. Netanyahus rechtsextreme Koalitionspartner, von denen sein politisches Überleben abhängt, sind gegen eine Waffenruhe.
Das israelische Sicherheitskabinett hatte im August die Einnahme der Stadt Gaza im Norden des von Israel abgeriegelten Küstenstreifens gebilligt. Das israelische Militär rief deshalb alle der schätzungsweise eine Million Bewohner der Stadt Gaza auf, in sogenannte humanitäre Zonen weiter südlich zu flüchten. In Erwartung des Vorstosses in die Stadt flohen nach israelischen und palästinensischen Angaben bereits mehr als 300'000 Menschen aus Gaza.
Noch 48 Geiseln in Hamas-Hand
Israelische Medien berichteten unter Berufung auf palästinensische Kreise, die Hamas habe Geiseln aus unterirdischen Tunneln geholt und in Häuser und Zelte der Stadt gebracht, um die israelische Armee an Einsätzen in bestimmten Gebieten zu hindern. Die Mutter eines verschleppten Mannes sagte Medien zufolge, ihr Sohn werde in Gaza als menschlicher Schutzschild missbraucht.
Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln, davon sind 20 nach israelischen Informationen noch am Leben. Viele von ihnen befänden sich jetzt in der Stadt Gaza, hiess es in der Erklärung des Forums der Angehörigen. Israels Ministerpräsident Netanyahu trage die persönliche Verantwortung für das Schicksal der Geiseln. «Das israelische Volk wird die Opferung der Geiseln und Soldaten nicht verzeihen», hiess es weiter.
Die israelische Armee hatte in den vergangenen Tagen ihre Luftangriffe in und um die Stadt herum schrittweise ausgeweitet und zuletzt begonnen, zahlreiche Hochhäuser in der Stadt zu zerstören. Sie wirft der Hamas vor, dort Beobachtungsposten eingerichtet und Sprengsätze platziert zu haben. Bodentruppen schickte die israelische Armee bislang nicht in die dicht besiedelte Stadt, in der sich vermutlich noch Hunderttausende Palästinenser aufhalten. In der Nacht zitierte die israelische Nachrichtenseite «ynet» palästinensische Berichte, wonach nun Panzer gesichtet worden seien.
Israel zunehmend isoliert
US-Aussenminister Rubio sagte dem Sender Fox News, der Krieg würde enden, wenn alle Geiseln ausgehändigt würden, die Hamas ihre Waffen niederlege und sich auflöse. «Im Idealfall, in einer perfekten Welt, würde man dies durch ein diplomatisches Abkommen erreichen.» Dies sei jedoch nicht eingetreten.
Israel gerät wegen der angekündigten Ausweitung des Gaza-Kriegs zunehmend in die internationale Isolation. Nach Israels Luftangriff vergangene Woche auf die Führungsspitze der Hamas in Katar forderten Vertreter aus rund 60 arabischen und weiteren islamischen Staaten bei einem Sondergipfel in Katar ein Waffenembargo gegen Israel. Nach Angaben der Hamas war die Attacke in der Hauptstadt Doha fehlgeschlagen, es sei kein Mitglied der Delegation für die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gaza getötet worden.
«Wir werden euch schnappen»
Aus Sicht Netanyahus ist der Angriff dagegen nicht fehlgeschlagen. Er habe vielmehr eine klare Botschaft vermittelt: «Ihr könnt euch verstecken, ihr könnt weglaufen, aber wir werden euch schnappen», sagte er mit Blick auf führende Mitglieder der Hamas. Netanyahu nannte die internationale Kritik an dem Angriff in Katar eine «Heuchelei». Jedes Land habe das Recht, sich auch jenseits seiner Grenzen gegen jene zu verteidigen, die seine Bürger töten wollten.
Der Gaza-Krieg begann mit dem Hamas-Terrorüberfall am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1200 Menschen in Israel getötet und mehr als 250 verschleppt wurden. Seither sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mindestens 64'900 Palästinenser im Gazastreifen getötet worden, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Kritiker werfen Israel Kriegsverbrechen oder gar Völkermord vor. Israel betont dagegen, es bekämpfe ausschliesslich die Hamas, die Zivilbevölkerung werde von der Terrororganisation als «menschliche Schutzschilder» missbraucht.