Die Isolierstation der Uniklinik Tübingen (D): An der Scheibe klebt getrocknetes Desinfektionsmittel. Dahinter sitzt der Oberarzt der Pathologie – ausnahmsweise als Patient.
Der 59-jährige Mediziner ist einer der ersten Coronavirus-Infizierten in Deutschland. Seine Tochter brachte das Virus am Sonntagabend als unsichtbares Souvenir von einem Mailand-Trip mit. Zwei Corona-Tote gab es zu diesem Zeitpunkt schon in Italien.
Trotzdem dachte sich die 24-Jährige nichts dabei, als ihr Hals kratzte. Die Erkältungssymptome verbuchte sie als «Retourkutsche», weil sie sommerlich bekleidet durch die Stadt gezogen sei, erzählt der Vater in einem Interview mit dem «Spiegel».
«Ich sitze sozusagen nur da»
Auch bei dem Mediziner schrillten keine Alarmglocken. Er nahm seine Tochter nach ihrer Rückkehr in dem Arm, ass mit ihr zu Abend und verabschiedete sich am nächsten Morgen von ihr. Das reichte für eine Infektion. Seit Dienstagabend steht fest: Vater und Tochter haben sich angesteckt – und sitzen nun für insgesamt zehn Tage in Quarantäne.
Und die ist ganz schön langweilig. «Da wir keine Behandlungen im eigentlichen Sinne haben, hat der Tag auch keine grossen Aufs und Abs», schildert der Pathologe den Alltag auf der Isolierstation, wo sonst Grippe- und Tuberkulosepatienten untergebracht sind.
«Ich selbst hätte es nicht bemerkt»
Blutdruck, Puls und Fieber werden routinemässig gemessen. Besuche sind auf ein Minimum beschränkt. «Ich sitze sozusagen nur da, schaue auf die Schwäbische Alb und unterhalte mich mit meiner Tochter.»
Er hat Glück. Während andere Patienten um ihr Leben kämpfen, spürt der Pathologe von der gefährlichen Infektion nämlich: nichts. «Ich habe meine volle Leibeskraft», erzählt er. «Man riecht das Coronavirus nicht, man sieht es nicht, man schmeckt es nicht. Es ist einfach da. Ich selbst hätte es nicht bemerkt.»
Eine Besonderheit der Quarantäne: Hinein ins Zimmer darf alles – hinaus nichts. Das sei ein Problem geworden, als er den Zugang zum Spital-WLAN bezahlen wollte. «Aber die Geldscheine, die hier bei mir liegen, sind potenziell infektiös.» Der Abteilungsleiter sei aber so nett gewesen und habe ihm das Geld vorgeschossen.
24-Jährige Tochter wird mit Hass überschüttet
Als Arzt nimmt er die Infektion gelassen. «Ich glaube, ich sitze das Ganze einfach aus.» Schwieriger ist die Situation für seine Tochter: Die junge Frau wird seit der Diagnose mit Hass überschüttet. «Über die sozialen Medien hat sie Nachrichten bekommen nach dem Motto ‹Du Schuldige›, ‹Du bringst alle in Gefahr› oder ‹Wie fühlt es sich an, wenn man eine Krankheit nach Deutschland einschleppt?›.»
«An mir als knapp Hundertjährigem geht so ein Shitstorm vorbei, aber nicht an einer 24-jährigen Frau.» Der symptomfreie Mediziner warnt vor Panik. Die Abschottungsmassnahmen sollen schlicht die Ausbreitung verlangsamen – «und nicht das Virus dämonisieren». Es gehe bei den Abschottungsmassnahmen darum, Zeit für die Entwicklung von Therapieoptionen zu gewinnen. Für Patienten, die es stärker betrifft. (kin)
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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