Die Welt schaut neidisch auf Israel. Kein Land impft schneller: 112 Dosen auf 100 Personen wurden bereits verabreicht, mehr als 52 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Wer will, kann in Israel tanzen, trinken – und im Fitnessstudio trainieren.
An anderer Stelle im Land läuft es dafür eher mittelprächtig: Am Dienstag gehen die Israelis für eine neue Regierung an die Urne – zum vierten Mal in zwei Jahren! Nötig ist die Parlamentswahl, weil das unter Corona-Druck eilig geschlossene Bündnis zwischen Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (71) und seinem Rivalen Benny Gantz (61) schon wieder zerbrochen ist.
Und selbst diese Wahl könnte nicht die letzte in diesem Jahr sein. Umfragen zeigen zwar, dass Netanyahu (Spitzname Bibi) und seine rechtskonservative Likud-Partei voraussichtlich wieder stärkste Kraft werden – doch ob der Polit-Oldie erneut Regierungschef werden kann, ist unklar. Gelingt es ihm nicht, eine Koalition zu formen, stehen die nächsten Neuwahlen an.
Kein Corona-Rückenwind für «Bibi»
Für Netanyahus politisches Scheitern gibts gleich mehrere Gründe. Trotz erfolgreicher Impfkampagne gibt es für den umstrittenen Ministerpräsidenten keinen richtigen Corona-Rückenwind. Viele Israelis sind sauer auf ihren Regierungschef. Der Grund: extrem hohe Infektionszahlen im vergangenen Jahr, lange Lockdown-Phasen, hohe Arbeitslosigkeit – und zu viel Rücksicht auf die Ultra-Orthodoxen.
Zudem läuft gegen ihn ein Prozess. Als erster amtierender Ministerpräsident Israels muss er sich vor Gericht gegen Korruptionsvorwürfe wehren. Seit dem Sommer gibt es jeden Samstag im ganzen Land Proteste gegen ihn. Mit einer Rechtskoalition könnte Netanyahu versuchen, eine Verurteilung zu verhindern.
Für das rechte Lager gäbe es zwar eine Mehrheit, doch auch dort ist Netanyahu umstritten. Angekreidet wird Bibi unter anderem der vorläufige Verzicht auf Annexionen im Westjordanland im Gegenzug für die Annäherung an die Golfstaaten.
Benny Gantz muss sogar um Knesset-Einzug zittern
Insgesamt haben etwa ein Dutzend Parteien die Chance, den Einzug in die 120 Sitze umfassende Knesset zu schaffen. Benny Gantz, Netanyahus «alter Rivale» aus den vergangenen Wahlen, muss zittern. Umfragen zufolge wurden Gantz und sein Bündnis Blau-Weiss in der Koalition nahezu zerrieben, selbst der Einzug in die Knesset ist unsicher.
Damit stehen Netanyahu aus dem Mitte-links-Lager vor allem die Zukunftspartei und deren Vorsitzender Jair Lapid (57) gegenüber. Doch bedeutend ist, dass ihm im rechten Lager starke Rivalen erwachsen sind. Politiker wie Gideon Saar (54) wollen Netanyahu ablösen, ihm wichtige Stimmen abnehmen.
Corona-Wahllokale in den Spitälern
Königsmacher könnte am Ende Naftali Bennett (48) aus dem rechten Lager sein. Dessen siedlerfreundliche Jamina-Partei sahen Umfragen zuletzt auf Platz drei, hinter der Zukunftspartei und vor Saars Tikva Chadascha (Neue Hoffnung). Bennett wirft Netanyahu Versagen beim Corona-Krisenmanagement vor. Allerdings hat er eine Koalition nicht ausgeschlossen.
Einen Unterschied gibt es bei dieser Wahl coronabedingt zu den vorherigen: Weil es in Israel keine Briefwahl gibt, werden spezielle Autos eingesetzt, um Infizierten die Stimmabgabe zu ermöglichen. Knapp 60 Wahllokale werden in Corona-Stationen in Spitälern eingerichtet. Wegen dieser Umstände und eines anstehenden Feiertagswochenendes könnte sich die Auszählung bis in die kommende Woche ziehen.