Auf einen Blick
Nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen herrscht Ratlosigkeit. Bisher sträubten sich die grossen Parteien wie CDU und SPD immer, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Doch wegen deren Erfolges wird es schwierig, eine Regierung ohne Miteinbezug der teilweise rechtsextremen Partei zu bilden.
Die Frage wird immer lauter: Soll man der AfD doch die Hand reichen? Bereits rütteln die ersten CDU-Vertreter sowie Kommentatoren an der Brandmauer: Sie fordern eine Zusammenarbeit und Einbindung der Partei, die von rund einem Drittel der Wahlberechtigten gewählt worden ist. Doch Experten warnen. Sie sehen einen anderen – allerdings ebenfalls heiklen – Lösungsansatz.
Für die neu gewählte Thüringer CDU-Abgeordnete Martina Schweinsburg (65) steht fest: Ja, jetzt muss man die AfD ins Boot holen und mit ihr das Gespräch suchen. Sie geht davon aus, dass sich die AfD in ernsthaften Sondierungsgesprächen «entzaubern» lasse. «Diese Pippi-Langstrumpf-Politik, in der man sagt: ‹Die AfD ist ein böses Kind, mit dem darfst du nicht spielen›, ist gescheitert.»
Je mehr Kritik, desto stärker
Auch aus andern Lagern kommt die gleiche Forderung auf. Der ehemals grüne und heute parteilose Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (52), erklärt die Strategie der Brandmauer für «ziemlich gescheitert und verfehlt». Je stärker man die AfD beschimpfe und sie als rechtsextrem bezeichne, desto stärker werde sie. Solange sie sich an die Verfassung halte, müsse man für Gespräche offen sein.
In den Medien dreht die Stimmung ebenfalls. War vorher mehrheitlich scharf gegen die AfD geschossen worden, plädieren immer mehr Kommentatoren für Offenheit. Der Medienunternehmer Gabor Steingart (62) schreibt auf Focus Online: «Angst vor der AfD? Die Demokratie in Deutschland ist nicht in Gefahr – nur in Gebrauch.»
Verweigerung auch demokratisch
Doch für Politexperten ist die AfD – trotz Rückhalt von über 30 Prozent der Wähler – immer noch ein Tabu. Alexander Marguier (55), Chefredaktor des Politmagazins Cicero, sagt gegenüber Blick: «Eine Zusammenarbeit ist unmöglich und würde die CDU zerreissen. Es ist ja keine Legende, dass die AfD, zumindest in Teilen, rechtsradikal ist.» Es gehöre ebenfalls zum demokratischen Prozess, dass man eine Zusammenarbeit mit einer andern Partei – auch erfolgreichen – ausschlage.
Wolfgang Schroeder (64), Experte für deutsche Politik an der Uni Kassel, verweist auf das Europäische Parlament, wo die AfD wegen ihrer rechtsextremistischen Einstellung sogar aus der rechten Fraktion «Identität und Demokratie» ausgeschlossen worden ist.
AfD müsse sich ändern
Schroeder bezeichnet die AfD-Wähler als «überwiegend normale Leute». Es gehe aber um die Partei mit ihrer extremen Einstellung. «Eine Zusammenarbeit ist daher auf keinen Fall eine Option», sagt Schroeder.
Eine Partnerschaft sieht Schroeder erst, wenn die AfD eingestehe, «dass sie überzogen, bestimmte Positionen zu weit ausgereizt und eine zu enge Einbindung in den rechtsextremistischen Korridor habe» und sich ändern wolle. «Dann sähe das auf einmal anders aus», sagt Schroeder.
«Wundertüte Wagenknecht»
Die Frage über die Zusammenarbeit mit der AfD dürfte die Parteien in Thüringen und Sachsen noch eine Weile beschäftigen. Sowohl Marguier als auch Schroeder gehen davon aus, dass das neue Bündnis der ehemaligen Linken Sahra Wagenknecht (55) bei der Regierungsbildung eine Schlüsselrolle spielen wird.
Doch auch hier dürfte eine Koalition nicht unproblematisch werden. Marguier: «Die Partei wehrt sich gegen eine Unterstützung der Ukraine. Zudem weiss man von ihr nicht, wer genau mitmacht. Wagenknechts Partei ist eine Wundertüte.»