«Ich habe meinen Vater erschlagen im religiösen Wahn»
Ich bin ein Vatermörder

Fünf Jahre nach dem Mord an seinem Vater ist Mathias Illigen (34) wieder frei. Weil er an «paranoider Schizophrenie» leidet, war er nicht im Gefängnis, sondern im psychiatrischen Massnahmenvollzug. SonntagsBlick hat ihn getroffen.
Publiziert: 28.01.2012 um 23:56 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:46 Uhr
Mathias Illigen: «In einem wahnhaften Zustand kann man nicht zukunftsbezogen handeln, weil man gar keinen Realitätssinn hat»
Foto: Cathrine Stukhard / Laif (fotos)
Von Christian Maurer

Herr Illigen, wie geht es Ihnen?
Mathias Illigen:
Meine Fetischfrage, wie es mir geht … Es geht mir recht gut, danke der Nachfrage.

Sie fühlen sich nicht mehr krank?
Nein. Krank fühle ich mich nicht wirklich – schon länger nicht mehr. Ich fühle mich wohl, lebe normal, wie andere Leute auch. Aber es gibt natürlich Dinge, auf die ich ein besonderes Augenmerk richten muss. Und es gibt gewisse Dinge, für die bin ich anfälliger als andere Menschen.

Für was?
Ich muss immer darauf schauen, dass ich richtig schlafe. Schlaflosigkeit ist etwas, das meine Psyche schwächt. Ich brauche Regelmässigkeit, klare Strukturen, beim Essen und Schlafen.

Vor genau fünf Jahren haben Sie Ihren Vater erschlagen. Verstehen Sie Leute, die kein Verständnis dafür haben, dass Sie heute bereits wieder ein freier Mann sind?
Das kann ich akzeptieren, ich verstehe es auch irgendwie. Aber es gibt in einem Rechtsstaat Einrichtungen für Menschen, die eine Tat im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangen haben, und Bedingungen für ihre Freilassung. Das ist auch zu akzeptieren. Grundsätzlich hat der Mensch das Recht auf eine zweite Chance.

Strafrechtlich sind Sie nicht schuldig, weil die Gerichtspsychiater Sie damals für unzurechnungsfähig erklärten. Fühlen Sie sich trotzdem schuldig?
Natürlich. Ich bin immer wieder mit Schuldgefühlen konfrontiert, nicht nur mit schlechtem Gewissen. Eine schwierige und paradoxe Situation, weil ich zum Zeitpunkt der Tat nicht ich selber war. Ich schaue mit ungläubigem Blick auf mich selber und sehe, was ich getan habe. Denn letztendlich habe ich es ja getan.

Wie gehen Sie mit der Schuld um, wenn Sie gar nicht schuldig sein können?
 
Die Schuldgefühle ertragen und in Positives umwandeln. Da gehts um ein freundliches Wort, einem Bettler Geld geben, auf Wut mit Freundlichkeit reagieren – die kleinen Dinge des Lebens schätzen, um das Gefühl zu haben, ich kann mir irgendwie verzeihen. Auf diesem Weg kann ich versuchen, mich mit meinem Vater auszusöhnen.

Sie wollen ein besserer Mensch werden?
Ja. Das wünsch ich mir, das wünsch ich auch meiner Umwelt.

Wie war Ihr Verhältnis zum Vater?
 
Nach dem Tod meiner Mutter, als ich dreieinhalb war, musste ich zu Verwandten und sah meinen Vater nur sonntags. Ich habe ihn abgöttisch geliebt, bewundert und idealisiert. Mit zehn kam ich zu ihm zurück, da hat mich die Realität eingeholt. Ich war enttäuscht, weil er doch nicht so ideal war. Ich wurde ein schwieriger Jugendlicher, renitent, kritisch. Einer, der sich nicht in die vorherrschenden katholischen Wertvorstellungen einordnen wollte. Wir hatten viele Diskussionen zu Hause. Es gab Spannungen.

Im Januar 2005 besucht er seinen Vater in Dornbirn, keine zehn Kilometer hinter der Schweizer Grenze. Was der Vater tut oder sagt – der Sohn sieht darin Beweise für seinen monströsen Verdacht. «Mein Judas ist entlarvt», schreibt Illigen und sagt seinem Vater zum Schluss: «Du musst verstehen, dass ich dich töten muss.» Die Lokalzeitungen schrieben dann vom Mann, der seinen Vater mit dem Bügeleisen erschlug.

Empfinden Sie heute Reue?
Natürlich bereue ich. Schuldunfähig heisst nicht schuldlos. Ich muss die Verantwortung für das übernehmen, was ich getan habe.

Wie äussert sich das?
Ich würde alles dafür geben, es ungeschehen zu machen.

Haben Sie keine Angst, dass Sie wieder etwas anrichten könnten?
Diese Angst gibt es bei mir eigentlich nicht. Ich bin ziemlich gut betreut und versorgt, und ich nehme seit fünf Jahren ununterbrochen Medikamente. Das wird noch lange Zeit so bleiben – eine Auflage des Gerichts. Ich machs aber auch, weil ich damit einverstanden bin und merke, dass es mir guttut. Wer in eine Psychose hineingerät und eine Tat begeht, der ist dem Rechtsstaat schuldig, alles zu tun, damit ihm so etwas nie mehr passiert.

Schizophrenie gilt als unheilbar. Sind Sie vielleicht doch eine psychische Zeitbombe?
Jeder Durchbruch von Schizophrenie oder aktiver Psychose würde bei mir sehr schnell bemerkt. Ich bin ja unter ständiger Beobachtung. Und angenommen, ich hätte einen psychotischen Rückfall, heisst das nicht automatisch, dass ich fremdgefährlich würde.

Anmerk. der Redaktion:Das Interview wurde für die Online-Ausgabe gekürzt. Das ganze Interview lesen Sie im SonntagsBlickoder auf der SonntagsBlick-iPad-App.

Das Buch zum Fall

Mathias Illigen, geboren 1977 in Vorarlberg (A), hat im Januar 2007 in einem psychotischen Anfall seinen Vater getötet. Aufgrund der Diagnose «paranoide Schizophrenie» wurde er statt ins Gefängnis in den psychiatrischen Massnahmenvollzug eingewiesen. Nach dreieinhalb Jahren wurde er 2010 entlassen. Heute lebt er als Maler und Autor wieder in Wien. Über seinen Wahn und seine Tat hat er ein Buch geschrieben: Ich und Ich. Die wahre Geschichte eines Mannes, der seinen Vater getötet hat. Edition a, 251 Seiten, Fr. 29.90.

Mathias Illigen, geboren 1977 in Vorarlberg (A), hat im Januar 2007 in einem psychotischen Anfall seinen Vater getötet. Aufgrund der Diagnose «paranoide Schizophrenie» wurde er statt ins Gefängnis in den psychiatrischen Massnahmenvollzug eingewiesen. Nach dreieinhalb Jahren wurde er 2010 entlassen. Heute lebt er als Maler und Autor wieder in Wien. Über seinen Wahn und seine Tat hat er ein Buch geschrieben: Ich und Ich. Die wahre Geschichte eines Mannes, der seinen Vater getötet hat. Edition a, 251 Seiten, Fr. 29.90.

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