Heftige Ausschreitungen erschüttert Belgrad
Darum geht es bei den Protesten in Serbien

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic versucht, die Anti-Regierungs-Proteste zu dämonisieren. Die Protestierenden machen ihm das Spiel leicht.
Publiziert: 11.07.2020 um 20:23 Uhr
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Präsident Aleksandar Vucic wittert «ausländische Mächte» hinter den Protesten.
Foto: DUKAS
Fabienne Kinzelmann

Stundenlang ist der Protest friedlich. Tausende Serben stehen und sitzen am Freitagabend vor dem Parlament in Belgrad. Doch dann wird es dunkel – und innerhalb von Minuten verwandelt sich Belgrads Innenstadt in eine Kampfzone. Demonstranten werfen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper, die Polizei setzt Tränengas und Knüppel ein.

Seit Dienstag zeigt sich das gleiche Bild in Serbiens Hauptstadt: Mit der Nacht eskaliert der Protest gegen ... – nun ja, was eigentlich? Corona, der Balkankonflikt, Wut auf die Regierung: Ein ganzes Potpourri an Themen treibt die Serben auf die Strasse.

«Die Proteste sind ideologisch extrem aufgeladen und ziehen Leute der unterschiedlichsten politischen Lager an», berichtet die serbische «Blic»-Journalistin Andriana Rankovic (28).

Die Demonstranten haben keine einheitliche Forderung

Das Problem der Demonstranten: Es gibt keine einheitlichen Forderungen, keine Sprecher. Kosovo-Rufe und -Gesänge, Ikonen und religiöse Symbole nehmen laut Beobachtern zu. Nationalisten werfen Präsident Aleksandar Vucic (50) Verrat vor, weil er nach deutsch-französischer Vermittlung neuen Gesprächen mit dem Kosovo zugestimmt hat. Dabei war der Auslöser für die Protestwelle eigentlich Vucics katastrophale Corona-Politik – nach der ersten heftigen Protestnacht ruderte der Präsident jedoch von einer angekündigten neuen Ausgangssperre zurück.

Fehlende einheitliche Forderungen machen es der serbischen Regierung leicht, die Demonstranten zu dämonisieren: Die Proteste, die sich auch auf andere Städte ausgeweitet haben, seien ein «Putschversuch» und das Ergebnis der angeblichen Wühlarbeit nicht näher bezeichneter ausländischer Mächte.

Vucic meldete sich am Donnerstag aus dem Regierungsflieger. «Der Staat wird Frieden und Stabilität sicherstellen, trotz der kriminellen und gewalttätigen Angriffe, die alle schockiert haben», sagte er in einer Videobotschaft. Wie er das anstellen will, zeigen Videos in den sozialen Medien und auf dem unabhängigen Nachrichtensender N1: Polizisten schlagen darin auf wehrlose Protestierende ein, prügeln und treten sie. Der Aktivist Sergej Trifunovic (47) behauptet auch, von einer Gruppe regierungsnaher Hooligans angegriffen worden zu sein.

Protestierende greifen Journalisten an

Nach zwei Tagen wilder Strassenschlachten riefen Demonstranten am Donnerstag dazu auf, sich während des Protests auf den Boden zu setzen. Sie wollten zeigen: Es ist nur eine kleine Gruppe Gewaltbereiter.

Das funktionierte nur kurzfristig. Am Freitag gab es erneut Krawalle in Belgrad. Fotos zeigen einige maskierte Demonstranten, die offenbar gezielt eskalierten. Eine Gruppe nationalistischer Demonstranten drang ins Parlament ein.

Die Gewaltbereiten machen auch vor Journalisten nicht halt. «Kollegen von anderen Medien wurden von Protestierenden mit Steinen beworfen und ihre Ausrüstung wurde zerstört», berichtet die serbische Journalistin Rankovic. Wer die treibende Kraft hinter den Protesten ist, sei jedoch auch nach vier Tagen noch schwer einzuordnen. «Wir werden sehen, ob in den nächsten Tagen klarer wird, worum es wirklich geht.»

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