«Für Eltern kann es ein Trost sein»
Warum manche Babys mehr weinen als andere

Wie sehr ein Baby die Nerven seiner Eltern mit Geschrei martert, hängt einer Studie zufolge auch mit seinen Genen zusammen. Die Brülldauer werde wohl weitgehend vom Erbgut bestimmt, schliesst ein Forschungsteam aus einer Untersuchung an Zwillingen.
Publiziert: 18:52 Uhr
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Aktualisiert: 19:33 Uhr
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Viele Eltern fragen sich, warum ausgerechnet ihr Baby so viel schreit. Schwedische Forscher bieten Trost: Es kann schlichtweg an den Genen liegen. (Archivbild)
Foto: OLIVER BERG

Darum gehts

  • Genetik beeinflusst Schreiverhalten von Babys stark, besonders die Brülldauer
  • Zwillingsstudie zeigt: Umfeld spielt bei nächtlichem Aufwachen eine grössere Rolle
  • Mit 2 Monaten schreien Babys durchschnittlich 72 Minuten täglich, mit 5 Monaten 47 Minuten
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Sei es der Hunger, die Müdigkeit oder irgendwelche Schmerzen – um seine Bedürfnisse auszudrücken, kann ein Baby lediglich eins tun: Schreien. Hält das Geschrei lange und oft an, so können Babys ihre Eltern stark emotional belasten. Elternpaare fühlen sich schuldig, doch sie können aufatmen: Laut einer schwedischen Zwillingsstudie ist die Genetik ein grosser Faktor – speziell bei der Brülldauer. 

Die Analyse ihres Teams basiert auf Fragebögen, die von den Eltern 998 gleichgeschlechtlicher eineiiger oder zweieiiger Zwillinge ausgefüllt wurden, als diese zwei Monate und fünf Monate alt waren. Zwillinge wurden gewählt, weil sie entscheidende Faktoren, die das Schreiverhalten ebenfalls beeinflussen, gemeinsam haben. Eineiige Zwillinge haben zu 100 Prozent die gleiche Erbanlage (DNA), zweieiige Zwillinge sind genetisch so verschieden wie in verschiedenen Jahren geborene Geschwister. Wenn eineiige Zwillinge sich in Bezug auf ein bestimmtes Merkmal ähnlicher sind als zweieiige Zwillinge, spielt die Genetik für die Ausprägung eine Rolle. Eine Zwillingsstudie kann dementsprechend Antworten liefern, ob die Genetik Einfluss hat. 

Schreit das Baby lange, mischt die Genetik mit

Die Befragung ergab immense individuelle Unterschiede. Einige Kinder wachten zum Beispiel bis zu zehnmal pro Nacht auf, andere fast nie. Im Schnitt schrien die Zwillinge im Alter von zwei Monaten etwa 72 Minuten täglich, wachten mehr als zweimal pro Nacht auf und brauchten jeweils etwa 20 Minuten zum Beruhigen. Im Alter von fünf Monaten waren es im Mittel insgesamt 47 Minuten Schreidauer, immer noch zweimaliges Aufwachen pro Nacht und etwa 14 Minuten zum Beruhigen.

Die deutlichsten Hinweise auf eine grossteils genetische Grundlage ergaben sich für die Dauer des Weinens. Im Alter von zwei Monaten erklärt die Genetik der Kinder demnach zu etwa 50 Prozent, wie viel sie weinen, wie es im Fachjournal «JCPP Advances» heisst. Im Alter von fünf Monaten seien es sogar 70 Prozent. Bei den Werten ist allerdings zu bedenken, dass ein Geschwistereffekt zum Tragen kommen kann: Fängt ein Zwilling zu brüllen an, fällt der andere gerne mal mit ein. Weinen beide, kann es länger dauern, bis sie sich wieder beruhigt haben.

«Für Eltern kann es ein Trost sein zu wissen, dass das Weinen ihres Kindes grösstenteils genetisch bedingt ist und dass sie selbst nur begrenzte Möglichkeiten haben, das Weinen ihres Kindes zu beeinflussen», sagte die Studienleiterin Charlotte Viktorsson von der Universität Uppsala (Schweden).

Wo andere Faktoren eine Rolle spielen

Bei der Zahl nächtlicher Aufwachphasen spielt die Genetik der Studie zufolge wohl eine weitaus geringere Rolle. Zu den dafür entscheidenden Gründen könnten die Schlafroutine und die Umgebung, in der das Kind schläft, gehören, vermuten die Forschenden. Beim Beruhigen wiederum beeinflusst das Umfeld offenbar nur in den ersten Lebensmonaten stark, wie gut es damit klappt. Im Alter von fünf Monaten wurde die Beruhigungsfähigkeit dann den Daten der Befragung zufolge hauptsächlich von der Genetik bestimmt.

Einschränkend geben die Forschenden zu bedenken, dass die Daten auf Angaben von Eltern beruhen und Schlaf und Verhalten deshalb womöglich nicht exakt wiedergeben. Zudem liessen sich die Ergebnisse nicht automatisch auf Einzelkinder übertragen - wegen der Interaktion von Zwillingen und weil zwei Babys höhere Anforderungen an Eltern stellen. Beides beeinflusst die gemessenen Faktoren.

Bei einer ersten Stichprobe seien allerdings keine merklichen Unterschiede zwischen Zwillingen und Einzelkindern hinsichtlich des Schrei- und Beruhigungsverhaltens festgestellt worden, sehr wohl aber bei der Zahl der Aufwachvorgänge. Allerdings ein eher unerwarteter Unterschied: Die Zwillinge wachten seltener auf als Einzelkinder.

Wie man Baby am schnellsten beruhigt

Auf potenzielle Gründe dafür gehen die Forschenden nicht ein. Womöglich fühlt sich ein Baby sicherer, wenn neben ihm sein stets präsenter Zwilling schlummert - oder es lässt sich aus der Gewohnheit seines belebten Alltags heraus weniger leicht durch nächtliche Geräusche aufschrecken.

Vor einiger Zeit hatte ein anderes Forschungsteam erkundet, wie man Babys am schnellsten beruhigt - und eine minutengenaue Anleitung ausgearbeitet. Eltern sollten ihr weinendes Kind etwa fünf Minuten eng an den eigenen Körper geschmiegt in gleichmässigem Tempo herumtragen, möglichst ohne abrupte Bewegungen, erklärten die Forschenden im Fachjournal «Current Biology». Sobald es eingeschlafen ist, sollen sie sich demnach noch etwa acht Minuten mit ihm hinsetzen und es erst danach zum Schlafen hinlegen.

Auch eine Erklärung für den beruhigenden Effekt des Gehens hatte das Team parat: die sogenannte Transportreaktion. Dieser angeborene Effekt sei bei vielen jungen Säugetieren zu beobachten, die noch nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, Mäusen und Affen zum Beispiel. Die Jungtiere beruhigen sich und ihre Herzfrequenz sinkt, wenn sie aufgehoben und herumgetragen werden.

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