Flüchtlings-Poker hat begonnen
So sieht der EU-Türkei-Deal in der Realität aus

Seit heute Morgen ist der umstrittene Flüchtlingspakt zwischen EU und Türkei in Kraft. Per Schiff wurden erstmals Hunderte Flüchtlinge zurück in die Türkei geschickt, im Gegenzug landeten 43 Syrer in Europa. Bei der Rückführung kam es zu kuriosen Szenen.
Publiziert: 04.04.2016 um 16:36 Uhr
|
Aktualisiert: 11.09.2018 um 16:20 Uhr
1/7
Per Schiff wurden heute die ersten Menschen von Griechenland zurück in die Türkei gebracht.
Foto: imago/Depo Photos

Bei der Rückführung von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei ist es nach Angaben von Hilfsorganisationen zu einem bizarren Zwischenfall gekommen. Während die Menschen am Montag mit Schiffen abgeschoben worden seien, habe eine Crew von Cadus und Sea-Watch zu einem Seenotfall ankommender Flüchtender ausrücken müssen.

Sea-Watch und Cadus operieren nach eigenen Angaben seit März 2016 gemeinsam vor Lesbos und führen Rettungseinsätze für Flüchtende in Seenot aus. «Heute hat sich deutlich gezeigt, warum der Deal nicht funktionieren wird», erklärte Cadus/Sea-Watch-Projektleiter Sebastian Jünemann. «Die Menschen riskieren immer noch ihr Leben auf Schlauchbooten, während andere abgeschoben werden - sie kommen und sie werden weiter kommen, da sie keine anderen Perspektiven haben.»

Mit Asylanträgen gegen die Abschiebung

Unterdessen stellen Flüchtlinge auf Lesbos nun offenbar massenhaft Asylanträge, um ihre Abschiebung hinauszuzögern. Das sagte die Chefin der für Migration zuständigen Abteilung der griechischen Polizei, Zacharoula Tsirigoti. Von nun an gelte es, Asylanträge zu bearbeiten, bevor weitere Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt werden könnten.

Aus Kreisen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex auf Lesbos hiess es, wegen der Antragsflut sei es nun umso wichtiger, dass zügig Asylexperten aus anderen europäischen Ländern nach Griechenland entsandt würden.

Auch die Sprecherin des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Melissa Fleming, mahnte, jeder Einzelne müsse angehört werden und die Chance bekommen, einen Asylantrag zu stellen, sonst dürfe er nicht zurück in die Türkei gebracht werden. Es mangle aber «dramatisch» an Personal, um die Fälle zu bearbeiten.

202 Menschen in die Türkei abgeschoben

Am Montagmorgen waren auf der Grundlage des Flüchtlingspakts der EU mit der Türkei die ersten 202 Menschen von Griechenland zurück in die Türkei geschickt worden.

Ein Schiff brachte 66 Flüchtlinge von der Ägäis-Insel Chios zum gegenüberliegenden türkischen Ort Cesme. Weitere 136 Flüchtlinge wurden von Lesbos abgeschoben und mit zwei Schiffen in den Hafen des westtürkischen Küstenortes Dikili gebracht.

Nach griechischen Angaben waren 191 Männer und elf Frauen an Bord. Die meisten Migranten stammten aus Pakistan (130) und Afghanistan (42), wie das griechische Ministerium für Bürgerschutz erklärte. Andere kamen aus dem Iran (10), aus dem Kongo (5), Sri Lanka (4), Indien und Bangladesch (jeweils 3), aus dem Irak, Somalia und der Elfenbeinküste (jeweils 1).

Auch zwei Syrer gehörten der Gruppe an. Diese hatten offenbar erklärt, dass sie aus familiären Gründen freiwillig zurückgehen wollen. 

Deutschland, Finnland und Niederlande nehmen Syrer auf

Im Gegenzug wurden zum Start der Umsiedlung von Flüchtlingen aus der Türkei in die EU 43 Syrer ausgewählt. 32 wurden heute nach Deutschland geschickt, 11 nach Finnland, wie die EU-Kommission mitteilte. Weitere syrische Flüchtlinge sollten bereits morgen in die Niederlande reisen.

Die Rückführungen und Umsiedlungen sind Teil eines Abkommens der EU und der Türkei, das heute in Kraft getreten ist. Demnach sollen alle nach dem 20. März in Griechenland eingetroffenen Flüchtlinge in die Türkei abgeschoben werden, die kein Asyl in Griechenland beantragen oder deren Anträge abgelehnt wurden.

Als Gegenleistung will die EU für jeden zurückgeschickten Syrer einen anderen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf legalem Weg aufnehmen - bis zu einer Obergrenze von 72'000.

Caritas: Schweiz kann mehr tun

Caritas hat derweil die Schweizer Politik in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise scharf kritisiert. Das Hilfswerk fordert den Bund deshalb zum Handeln auf. Die Syrien-Hilfe vor Ort soll auf mindestens 100 Millionen Franken jährlich aufgestockt werden.

«Die Schweizer Hilfe beträgt momentan 50 Millionen Franken jährlich. Das ist in Anbetracht der derzeitigen Lage in Syrien völlig ungenügend», sagte Caritas-Direktor Hugo Fasel vor den Medien in Bern.

Mit den geforderten 100 Millionen Franken soll die Überlebenshilfe in Syrien verstärkt, aber auch der Schulbesuch der syrischen Flüchtlingskinder in den Nachbarländern Syriens sichergestellt werden.

Die Schweiz hat sich bereit erklärt, im Rahmen des EU-Umverteilungsprogrammes insgesamt 1500 Flüchtlinge aufzunehmen. Diese sollen in den nächsten Wochen aus Italien und Griechenland in die Schweiz kommen. (gr/SDA)

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?