Gleich drei britische Teams stehen bei der Fussball-EM vor ihren entscheidenden Gruppenspielen. Achtelfinal oder Heimflug heisst es für England, Wales und Nordirland. Doch könnte ein kollektives Scheitern auch Einfluss auf das Referendum über einen möglichen Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union am Donnerstag haben?
Gefühl der Enttäuschung führt zu Meinungswechsel
Zur Beantwortung dieser Frage ziehen Analysten als Beispiel die Wahl des britischen Unterhauses 1970 heran. Die regierende Labour-Partei von Premierminister Harold Wilson galt als grosser Favorit vor dem Votum am 18. Juni. Doch nur vier Tage zuvor scheiterte das englische Nationalteam ausgerechnet gegen den Erzrivalen Deutschland im Viertelfinal der WM in Mexiko.
«Das Gefühl der Enttäuschung hätte nicht grösser sein können», schreibt ein Kommentator für den Sender BBC. «Die Stimmung der Nation war ernüchtert. Deshalb sahen sie sich nach etwas Neuem um. Etwas Neues war in diesem Fall die Wahl einer neuen Regierung.» Die Konservativen sicherten sich überraschend den Wahlsieg.
Frühes Heimkehren hätte Konsequenzen
Auch Sportsoziologe Mark Perryman sieht einen Zusammenhang zwischen dem Abschneiden der Nationalmannschaften und der politischen Stimmung. Sollten England, Wales und Nordirland die Gruppenphase überstehen, «dann würde es den Menschen ein gutes Gefühl geben«, sagt der Wissenschaftler von der Brighton-Universität. «Wenn sie frühzeitig nach Hause kommen, werden die Leute fragen: "Wollen wir wirklich ein Teil dieses Kontinents sein?"»
Ganz so simpel sei diese Kausalität allerdings nicht, schreibt die Wochenzeitung «New Statesman». Einige Studien würden suggerieren, dass Erfolg im Sport «den nationalen Stolz erhöht, wodurch sich die Vorteile gegen Aussenseiter verstärken» - also Brexit. Andere Untersuchungen zeigten hingegen, dass das Land «positiver über dem Status Quo eingestellt» sei, wenn seine Athleten glänzen - also EU-Verbleib. (SDA)