Experte Bruno Kaufmann analysiert den Rechtsrutsch bei den Wahlen
Schweden muss sich neu erfinden

Die Parlamentswahlen vom Sonntag haben eine offene politische Ausgangslage geschaffen. Statt gegeneinander, müssen die Politiker jetzt lernen, miteinander zu sprechen. Experte Bruno Kaufmann analysiert für BLICK die Lage im hohen Norden.
Publiziert: 11.09.2018 um 02:09 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 22:47 Uhr
Der Nordeuropa-Experte und Journalist Bruno Kaufmann (52) lebt mit Unterbrüchen seit 1987 in Schweden und wirkt als Korrespondent für SRF über die Region und zu globalen Demokratiefragen für den Auslanddienst swissinfo.
Foto: Zvg
Bruno Kaufmann

Die Zahlen sind hart. Gut 40 Prozent der Stimmen für die beiden politischen Blöcke zur Linken und Rechten, dazu fast 18 Prozent für die Rechtsnationalisten. Schweden muss sich nach den Wahlen mit einer neuartigen politischen Landschaft anfreunden.

Die Ausgangslage ist verzwickt: Entweder macht nun das bürgerliche Zentrum mit den Sozialdemokraten gemeinsame Sache – oder aber der konservative Anwärter auf das Amt des Regierungschefs, Ulf Kristersson, macht sich von den Schwedendemokraten abhängig. Problem daran: Beide Möglichkeiten sind von verschiedenen Parteivertretern schon im Vorfeld der Wahlen ausgeschlossen worden.

Von einer kleinen Gruppe zur Quasi-Volkspartei

Dabei führt am Dialog mit den Schwedendemokraten nun kein Weg mehr vorbei. Ihre 18 Prozent machen die postfaschistische Partei zur drittgrössten Partei im schwedischen Parlament. Unter der Führung von Jimmie Åkesson haben sich die Schwedendemokraten innerhalb eines Jahrzehntes von einer kleinen Randgruppe in eine breite Volkspartei gewandelt. Nun verlangen sie dementsprechend mehr Einfluss.

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Den Schwedendemokraten, die erstmals vor acht Jahren mit einer kleinen Fraktion in den schwedischen Reichstag einziehen konnten, ist es gelungen, die Themen aufzugreifen, die die Bürger im Alltag beschäftigen. Die ungenügende Integration von Flüchtlingen, den zunehmenden Stadt-Land-Graben, die umfassenden Mängel im Gesundheitswesen. Sie punkteten damit, dass grosse Teile der Schweden sich heute nicht mehr im politischen Betrieb wiedererkennen.

Schwedens Positiv-Trauma

Dabei leidet Schweden unter einem Positiv-Trauma. Unter sozialdemokratischer Führung mauserte sich das grösste Land Skandinaviens in den eigenen Augen nach dem Zweiten Weltkrieg im Inneren zu einem Vorzeige-Wohlfahrtstaat und gegen aussen zu einer moralischen Weltmacht zwischen Ost und West. Das erfolgte im Rahmen einer kulturell weitgehend homogenen Gesellschaft und innerhalb von strikt bewachten nationalen Grenzen. Erst im Anschluss an den Beitritt zur Europäischen Union wurde die traditionell restriktive durch eine sehr liberale Einwanderungspolitik ersetzt, die dann im Zuge der grossen Flüchtlingskrise vor drei Jahren ins sich zusammenbrach.

In den letzten Jahren versuchten die verschiedenen Lager immer krampfhafter an die Idee eines «Schwedenmodells» anzuknüpfen. Die Linke mit ihrer «feministischen» Aussenpolitik, die Bürgerlichen mit einer «Liberalisierungsrevolution» und die Schwedendemokraten mit dem Versprechen, die Zukunft in der Vergangenheit zu suchen, als «Schweden noch schwedisch war». 

Land nicht für radikale Experimente geeignet

Einzig: All diese Versuche werden ebenso scheitern wie die nun vorgebrachten Forderungen nach einer ideologisch «reinen» Regierung, zur Linken, Rechten oder durch die Nationalisten. Letztlich ist Schweden heute viel zu vielfältig, modern und individualistisch, als dass sich das wirtschaftlich boomende Land auch in der Zukunft als Labor für radikale gesellschaftspolitische Experimente eignen würde. Das einseitige Vorpreschen unterschiedlicher Regierungen in Fragen der Einwanderung, der Sicherheitspolitik oder auch des Schulwesens ohne Mitsprache der Bürger haben die offenen Gräben noch grösser gemacht – und den wachsenden Extremismus im Land zusätzlich angeheizt.

Hundert Jahre nach der Einführung der Demokratie im Land braucht Schweden nun tiefgreifende Reformen hin zu mehr Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie. Und dazu Politiker, die lernen, miteinander statt gegeneinander zu reden.

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