Herr Borer, die Belagerung dauerte fast eineinhalb Tage. Weshalb diese Geduld?
Léon Borer: Entscheidend war sicher, dass beim ersten Zugriff drei Beamte verletzt wurden. Das muss die Taktik massiv beeinflusst haben. Ich bin mir sicher, dass der Einsatzleiter die Sicherheit seiner Leute zur obersten Priorität erklärt hat. Ab diesem Zeitpunkt galt: Null Risiko!
Eliteeinheiten gegen Einzeltäter – und trotzdem wirkte die Situation wie ein Patt. Was war denn die Gefahr?
Zu befürchten war, dass im Haus heimtückische Sprengfallen aufgebaut sind. Oder er hätte womöglich das ganze Haus sprengen können. Doch eigentlich drängte die Zeit nicht. Er hatte keine Geiseln, die Nachbarn waren evakuiert. Solange er sich in seiner Wohnung aufhielt, konnte er höchstens noch sich selber schaden.
Die Franzosen verfolgten offenbar eine Zermürbungstaktik. Ein Standardmanöver?
Es gibt keine Standardvorgehen für solche Situationen. Es ist immer so, dass der Umstellte den Rhythmus vorgibt. Die Zeit arbeitete aber für die Polizei. Und sie hatte ja ein gutes Profil des Täters.
Anfangs war Merah sehr gesprächig, in der Nacht auf heute brach er den Kontakt komplett ab. Wie deuten Sie das?
Die Situation schien ihm schwer zugesetzt zu haben. Ich schätze ihn als jemanden ein, der sich gerne profiliert. Man ermöglichte ihm keine sozialen Kontakte mehr, ganz alleine war er in seiner Wohnung eingesperrt. Das muss ihn belastet haben. Dass er nicht mehr sprach, ist auch ein Zeichen dafür, dass der Druck gewirkt hat.
Die Informationslage schien oft verwirrend. Der Innenminister behauptete heute Morgen, er wisse nicht, ob Merah noch lebe.
Das können immer auch taktische Lügen sein. In so einer Situation ist das durchaus gerechtfertigt. Und man sollte die Franzosen nie unterschätzen. Das sind schlaue Füchse, die ganz genau wissen, was sie tun. «Rouslards», nannten wir sie immer. Schlitzohren.