Es sind Dutzende von streng geheimen US-Dokumenten, die die letzten Tage im Internet die Runde gemacht haben. Darunter hochsensible Informationen zum Ukraine-Krieg, zur US-Verteidigung und über China. Zwar sind die Papiere inzwischen verschwunden oder zumindest sehr viel schwieriger auffindbar – doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt.
Beim Leck handelt es sich wohl um das grösste des letzten Jahrzehnts. Die USA bemühen sich nun um Aufklärung und versuchen, ihre Verbündeten zu beruhigen. Es bleiben viele Fragen offen und das Leck kann schwerwiegende Folgen mit sich bringen.
Wie verheerend sind diese Leaks für die USA?
Nach Angaben des Pentagons stellt die Veröffentlichung der streng geheimen US-Dokumente ein sehr hohes Sicherheitsrisiko dar. Das sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. US-Präsident Joe Biden (80) soll besorgt sein über die Menge der veröffentlichen Dokumente sein.
Dokumente, die geheim bleiben sollten – aber mittlerweile von etlichen Personen eingesehen werden konnten. Peter Regli (78), ehemaliger Chef des Schweizer Nachrichtendienstes, findet im Gespräch mit Blick klare Worte für den Datenskandal. Es sei ein «schwerwiegender Fehler», was da passiert ist. Kurzum: «Es ist ein Albtraum für jeden Nachrichtendienst.»
Wie konnte das überhaupt passieren?
Geleakt wurden die Dokumente wohl von einer oder mehreren Personen im US-Geheimdienst. Das bestätigen die zuständigen Behörden. Regli erklärt: «Westliche Nachrichtendienste basieren auf Vertrauen.» Vertrauen, das auch gebrochen werden kann.
Noch immer ist unklar, wer diese Dokumente publiziert hat und mit welcher Intention. Einige glauben, dass es sich um einen Insider aus der US-Verteidigung handelt, der entschieden hat, die Wahrheit ans Licht zu bringen. «Es ist ein absolutes Horror-Szenario, wenn die eigenen Mitarbeiter für die andere Seite tätig sind», so Regli. Es sei allerdings schwierig, solche Situationen zu vermeiden.
Wie findet man heraus, welche Dokumente gefälscht sind?
«Wir werden jeden Stein umdrehen, bis wir den Ursprung und das Ausmass des Vorfalls herausgefunden haben», sagt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin (69). Sowohl er als auch US-Aussenminister Antony Blinken (60) sagen, sie hätten mit ihren ukrainischen Kollegen gesprochen.
Laut Regli sei es nun die oberste Priorität der Amerikaner, die veröffentlichten Dokumente mit den Original-Papieren zu vergleichen. «Da die Amerikaner genau zu wissen scheinen, um welche Dokumente es sich handelt, ist das eine relativ einfache Aufgabe.»
Ist das Vertrauen zu den USA zerstört?
Die geleakten Dokumente enthalten nicht nur höchst sensible Informationen zum Ukraine-Krieg. Auch Hinweise dazu, dass die US-Geheimdienste ihre Alliierten abgehört haben, wurden publiziert. Damit könnte das Vertrauen in die USA gebrochen sein – besonders das der Ukraine.
Regli ist da anderer Meinung und sympathisiert bis zu einem gewissen Grad mit den Spitzeln der USA: «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.» Um das Vertrauen der Partner nicht zu verlieren, sei direkte Kommunikation aktuell sehr wichtig. «Priorität ist es, das wieder einzurenken. Ein Leak kann jedem Nachrichtendienst passieren.»
Wie werden die Leaks den Kriegsverlauf beeinflussen?
Aus den geleakten Dokumenten geht unter anderem hervor, dass die USA pessimistisch gegenüber einer erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive eingestellt sind. Diese werde nicht so erfolgreich sein, wie noch im vergangenen Herbst bei Cherson.
Das Leak kommt also zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt im Kriegsgeschehen, da die Ukraine im April eine Offensive starten wollte. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal (47) hat sogar angedeutet, dass man die Offensive auf den Sommer verschieben wird.
Und auch die russische Seite könnte von der Publikation profitieren. «Wir müssen davon ausgehen, dass die russischen Geheimdienste sehr gut im Bilde sind», so Regli. Denn in den Dokumenten wird auch beschrieben, welche ukrainische Brigaden am schwächsten sind – wertvolle Informationen für die russische Kriegsführung.