Erstes EU-Land stoppt Import
Dieses Schiff macht Litauen unabhängig vom Putin-Gas

Litauen hat als erstes EU-Mitglied alle Gaslieferungen aus Russland gestoppt. Das kann sich der baltische Staat dank einem schwimmenden Terminal leisten. Die Litauer befürchteten nämlich schon vor Jahren, dass Putin den Gashahn zudrehen könnte.
Publiziert: 08.04.2022 um 17:20 Uhr
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Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern benötigt Litauen kein Gas mehr von Gasprom und Co.
Foto: Getty Images

Im Hafen von Klaipeda in Litauen steht derzeit ein 294 Meter langes Schiff. Die «Independence», wie sie genannt wird, sichert derzeit die gesamte Gasversorgung von Litauen. Ein schwimmendes Terminal für Flüssiggas, abgekürzt LNG.

Andere Tankschiffe können andocken, und das Riesenschiff übernimmt dann die verflüssigte, runtergekühlte Gasladung und wandelt sie wieder in Gas um. Im Anschluss wird über eine Pipeline das LNG ins litauische Versorgungsnetz gepumpt. Die «Independence» verfügt vier Tanks. Insgesamt 170'000 Kubikmeter Speicherplatz.

Dank dem Schiff konnte Litauen am 1. April als erstes EU-Mitglied den Importstopp von sämtlichem russischen Gas verkünden, wie der «Spiegel» berichtet. Möglich ist das durch Lieferungen aus Norwegen und den USA. Dabei hatte die «Independence» in den letzten acht Jahren nicht viel zu tun.

Lange Zeit wurde das Projekt, für das Litauen bisher gut umgerechnet 100 Millionen Franken bezahlt hat, nur belächelt. Doch seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gilt das Schiffsterminal als Vorbild. In Deutschland gibt es jetzt sogar Pläne dafür, ein ähnliches Projekt zu realisieren.

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Litauen zahlte höchste Preise für russisches Gas

Aber wie kam Litauen überhaupt schon vor Jahren auf die Idee, sich vom russischen Gas unabhängig zu machen? Das baltische Land hat eine lange Vergangenheit mit Russland. Als ehemalige sowjetische Teilrepublik strebte Litauen 1990 nach Unabhängigkeit, und bekam von Moskau kurzerhand zweieinhalb Monate Gas- und Öllieferungen gekürzt. Daraufhin mussten die Litauer ihre Heizungen runterdrehen, und pro Person gab es nur noch 20 Liter Benzin im Monat.

«Seitdem war es für mich in meinem Leben keine Frage mehr, wozu Russland fähig ist. Man darf ihnen keine Sekunde vertrauen», berichtet Ingenieur Linas Kilda, der die «Independence» mitentwickelt hat, im Gespräch mit dem «Spiegel».

Als dann 2009 in Litauen ein Atomkraftwerk stillgelegt wurde, und ein neues politisch nicht durchsetzbar war, fiel der Startschuss für das schwimmende Gasterminal. Denn das ganze Land war damals abhängig von russischem Gas, und die Litauer zahlten dafür einen der höchsten Preise in Europa.

«Independence» soll auch Nachbarländer versorgen

Nach 15 Monaten Bauzeit ging die «Independence» im Oktober 2014 in Betrieb. Und plötzlich gewährte Russland dem baltischen Staat einen Preisnachlass von 20 Prozent auf Gaslieferungen. Laut eigenen Angaben sparte das Land seither bis zu 150 Millionen Franken pro Jahr. Und während das Terminal wegen der günstigen Gaspreise bisher mit nur 49 Prozent seiner Kapazität arbeitete, wurde der Betrieb seit dem Boykott von russischem Gas auf 89 Prozent hochgefahren. Kilda: «Das Terminal, das wir gebaut haben, ist die Lebensversicherung unseres Landes.»

Litauen hat es nicht nur geschafft, sich von der Energiemacht Russland zu lösen, sondern dürfte damit in Zukunft auch gutes Geld verdienen. In wenigen Wochen soll nämlich eine Pipeline nach Polen eingeweiht werden, die das Land energiepolitisch näher an Westeuropa heranrücken würde.

Zudem will Litauen seine baltischen Nachbarn mit Energie versorgen, die bisher 90 Prozent ihres Gases von Russland bezogen haben. «Bis Ende September sind wir mit Gaslieferungen ausgebucht», berichtet Jurgita Silinskaite-Vensloviene, Handelschefin des Betreibers der «Independence». (obf)

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