Er steht auf Israels Todesliste
Was passiert, wenn Iran-Führer Chamenei stirbt?

Vom persischen Märchen bis zum blutigen Horror: Auf den Tod des Staatsoberhaupts Ali Chamenei, der den Iran seit 1989 kontrolliert, könnte die Befreiung eines 90-Millionen-Volks kommen – oder der endgültige Untergang. Blick stellt die drei Iran-Szenarien vor.
Publiziert: 17.06.2025 um 19:27 Uhr
|
Aktualisiert: 17.06.2025 um 19:32 Uhr
Teilen
Schenken
Anhören
Kommentieren
Ayatollah Ali Chamenei kontrolliert den Iran seit 1989. Sein plötzlicher Tod würde das Land massiv verändern.
Foto: AFP

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
RMS_Portrait_AUTOR_823.JPG
Samuel SchumacherAusland-Reporter

Viel gibt es nicht, vor dem Benjamin Netanyahu (75) zurückschreckt. Doch die Ausschaltung von Ayatollah Ali Chamenei (86), dem Führer des Iran, ist Israels Regierungschef offenbar eine Stufe zu heiss – noch. Am Freitag hätte Israel offenbar die Möglichkeit gehabt, das seit 1989 regierende iranische Staatsoberhaupt auszuschalten. Doch US-Präsident Donald Trump (79) legte sein Veto ein, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.

Trump zählt auf Verhandlungen mit Chamenei über das iranische Atomprogramm. Sollte Netanyahu den obersten Revolutionsführer der Mullahs auch ohne US-amerikanischen Segen ins Jenseits befördern lassen, wird der Iran nicht mehr derselbe sein. Gedroht hat US-Präsident Donald Trump Irans oberstem Führer Ajatollah Ali Chamenei indirekt trotzdem. «Wir wissen genau, wo sich der sogenannte Oberste Führer versteckt hält», schrieb Trump auf der Plattform Truth Social. «Er ist ein leichtes Ziel.» Vorerst sei Chamenei dort aber sicher. Beim Tod von Chamenei sind derweil drei Szenarien möglich: ein deprimierendes, ein märchenhaftes und ein schreckliches.

1

Das deprimierende Szenario: Vieles bleibt beim Alten

Mit 86 ist Ali Chamenei das fünftälteste Staatsoberhaupt der Welt. Wenig erstaunlich, dass der Expertenrat, der mit der Wahl des Revolutionsführers im Iran betraut ist, hinter den Kulissen schon fleissig nach einem möglichen Nachfolger sucht. Lange galt Ex-Präsident Ebrahim Raisi als aussichtsreicher Kandidat, bis er im Mai 2024 bei einem Helikopterabsturz ums Leben kam. Aktuell streiten sich Modschtaba Chamenei (55), Chameneis zweitältester Sohn, und Sadegh Laridschani (62), Chameneis enger Berater, um die Poleposition.

Ali Chameneis Tod wäre für das iranische System aber selbst mit einem Nachfolger und dem Fortbestehen des Mullah-Regimes ein «Krisenmoment», sagt der im Schweizer Exil lebende iranische Journalist Diako Shafiei (35) zu Blick. «Chameneis Wegfall würde ein beispielloses Vakuum im Regierungssystem schaffen, das nicht einfach durch eine andere Person ersetzt werden kann.» Chamenei sei nicht nur der oberste Schiedsrichter bei allen Entscheidungen im Land, sondern stelle auch ein Gleichgewicht zwischen den miteinander konkurrierenden Machtkreisen her.

2

Das märchenhafte Szenario: Die Revolution von unten kommt

Beobachter schätzen, dass rund 85 Prozent der sehr jungen Bevölkerung des Iran (zwei Drittel der Iraner sind unter 30) keinen Bock haben auf ein Leben unter den Mullahs. Viele sehnen sich – nach Jahrzehnten der Unterdrückung und der Misswirtschaft – nach Freiheit. Das haben die «Kopftuchproteste» gezeigt, die das Land nach der Tötung der jungen Jina Mahsa Amini im September 2022 ergriffen hatten. Amini wurde von der Sittenpolizei zu Tode geprügelt, weil sie ihr Kopftuch «nicht korrekt» getragen hatte.

Die Kopftuchproteste offenbarten allerdings erneut, mit welcher Brutalität die iranischen Sittenwächter gegen ihre eigene Bevölkerung vorgehen: mindestens 15'000 Festnahmen, Hunderte Tote, Hunderte Todesurteile, so die Bilanz des Schreckens. Der iranischen Jugend und den Mullah-Gegnern fehlt zudem das klare Vorbild, die Führerfigur, die die Masse durch das unwegsame und gefährliche Gelände einer tiefgreifenden Revolution geleiten würde. Ein iranischer Che Guevara ist nicht in Sicht.

Dennoch, sagt Diako Shafiei, könnte Chameneis Tod «den Druck von unten erhöhen». Irans Sicherheitsapparat sei durch die israelischen Schläge geschwächt. «Diese Schläge sind nicht nur physischer, sondern auch psychologischer Natur und zeigen der iranischen Bevölkerung, dass ein Regime, das jahrzehntelang mit eiserner Faust regiert hat, nun Risse bekommt.»

3

Das Horrorszenario: Der Iran zerfleischt sich selbst

90 Millionen Menschen leben in dem riesigen Land (40-mal so gross wie die Schweiz). Fällt die zentrale, unterdrückende Figur weg, könnte ein wüster Streit um die Vorherrschaft im persischen Rumpfstaat ausbrechen. Das Land ist wirtschaftlich am Boden, Armut und Verzweiflung sind riesig. Der nackte Kampf ums Überleben könnte ausarten. Massenfluchtbewegungen wären die Folge.

Davor warnt auch Diako Shafiei. «Es besteht die Gefahr, dass sich die autoritären Strukturen mit neuem, möglicherweise noch repressiverem Gesicht erneut etablieren.» Sanam Vakil, die Chefin der Nahost-Abteilung der britischen Denkfabrik Chatham House, schreibt auf X, das Land könnte in konfessionelle und ethnische «Kantone» zerfallen. Bürgerkrieg und der Aufstieg nicht staatlicher Akteure (wie beispielsweise der Islamische Staat oder Al Kaida) wären die Folge. Ein Albtraum würde auf den anderen folgen.


Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?