Einigung vertagt
Scheitern Verhandlungen zu Plastikmüll-Abkommen in Genf?

Die Verhandlungen über ein globales Plastikabkommen in Genf gehen in die Verlängerung. Bundesrat Rösti vertritt die Schweiz und betont die Notwendigkeit eines Ergebnisses. Der bisherige Textentwurf wird als nicht ambitioniert genug kritisiert.
Publiziert: 01:29 Uhr
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Aktualisiert: vor 9 Minuten
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Der Vertrag soll den gesamten Zyklus des Plastiks umfassen, von der Produktion über das Design bis zum Umgang mit Abfall. (Archivbild)
Foto: NIC BOTHMA
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Keystone-SDADie Schweizer Nachrichtenagentur

Die Unterhändler haben bei den Verhandlungen über ein Abkommen zur Vermeidung von Plastikmüll am Donnerstag in Genf keine Einigung erzielt. Der Konferenzvorsitzende vertagte die Verhandlungen der 185 Staaten um kurz vor Mitternacht auf Freitag.

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Die Schweiz ist in Genf von Bundesrat und Umweltminister Albert Rösti (58) vertreten. Der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) erwartete einen neuen Textentwurf. Die Schweiz sei der Ansicht, dass es «nicht akzeptabel» wäre, ohne Ergebnis aus Genf abzureisen, sagte Rösti der Nachrichtenagentur Keystone-SDA am Donnerstag vor Ort – bevor die Konferenz in die Verlängerung ging.

«Überhaupt nicht ambitioniert»

Am Mittwoch hatte Verhandlungsleiter Luis Vayas Valdivieso einen Text vorgelegt, den die meisten Teilnehmerstaaten zurückwiesen. Rösti erklärte, der Entwurf von Ecuadors Botschafter in London sei «überhaupt nicht ambitioniert» und habe den Forderungen der Schweiz nicht entsprochen.

Der Bund will ein engeres Abkommen über eine Verbesserung der Produktion, ohne Reduktionsziel, und eine Kontrolle oder zumindest Überwachung problematischer Produkte. Ebenso will die Schweiz einen Finanzierungsmechanismus zur Unterstützung der Entwicklungsländer.

«Am Ende werden die grossen Länder, die grossen Produzenten entscheiden», sagte Rösti. Er schloss das Szenario einer Abstimmung nicht aus, wenn dadurch «das Problem gelöst wird». Er würde jedoch einen Konsens vorziehen.

Neuer Textentwurf

Die Vertagung löste bei den Anwesenden Verwirrung aus. Der Konferenzvorsitzende Valdivieso sah sich gezwungen, vor Ablauf der Mitternachtsfrist eine Plenarsitzung zu eröffnen, um in völliger Verwirrung anzukündigen, dass die Gespräche am Freitag fortgesetzt würden. Das nächste Treffen in diesem Format werde «zu einer noch festzulegenden Zeit» stattfinden, fügte der Konferenzvorsitzende hinzu, bevor er den Saal eilig verliess. Laut übereinstimmenden Quellen sollten die Verhandlungen spätestens am späten Freitagnachmittag beendet werden.

Die Ankündigung führte zu einer enormen Verwirrung unter den Delegationen. Einige wussten nicht, ob die Gespräche in der Nacht in kleinen Gruppen fortgesetzt würden oder nicht. Die meisten verliessen schliesslich den Völkerbundpalast. Ein gutes Viertel der Teilnehmenden blieb noch lange im Saal.

In der Nacht auf Freitag stellte Valdivieso einen neuen Textentwurf vor. Dieser sieht keine globalen Ziele zur Verringerung der Umweltverschmutzung durch Plastik vor, sondern nationale Anstrengungen. Der Geltungsbereich eines möglichen Abkommens, heisst es, werde sich um die Begriffe «muss» oder «sollte» drehen, die noch zu klären seien.

«Beleidigung»

Davor hatte sich die Kritik an Valdiviesos Vorgehensweise gehäuft. Nichtregierungsorganisationen (NGO) sprachen von einer «Beleidigung» der Zivilgesellschaft. Einige südamerikanische Delegierte machten keinen Hehl aus ihrer Verärgerung über den ecuadorianischen Botschafter, der mit einem wenig ambitionierten überarbeiteten Textentwurf am Mittwoch bei den meisten Ländern enorme Wut ausgelöst hatte. Von Bundesrat und Umweltminister Rösti über den französischen Präsidenten Emmanuel Macron (47) bis hin zu vielen Entwicklungsländern wurde dieser als «inakzeptabel» bezeichnet.

Der Streit über den Text findet zwischen zwei Gruppen statt: Mehr als 100 weitere Länder wollen die Plastikproduktion auf ein nachhaltiges Niveau begrenzen, Einwegplastik wie Besteck, Becher und Verpackungen aus dem Verkehr ziehen und auf wiederverwendbare Produkte, Recycling und Kreislaufwirtschaft setzen. Dagegen stehen Länder, die den Rohstoff für das Plastik haben: Öl. Darunter sind Saudi-Arabien, der Iran und Russland. Diese Länder tun alles, um Produktionsbeschränkungen zu verhindern.

Steigende Plastikmengen

Die Akteure aus dem Globalen Süden und die Vertretungen der Abfallsammlenden, die weltweit etwa 60 Prozent des Plastiks nach seiner Verwendung einsammeln, wollen ihrerseits gehört werden. Erstere wollen auch ein verbindliches Abkommen über die Produktion, während letztere bei den Veränderungen, die sie vornehmen müssen, begleitet werden möchten.

Am Donnerstagabend hatten sich Dutzende Vertretungen der Zivilgesellschaft vor dem Plenarsaal versammelt. «Ein schwacher Vertrag ist ein Misserfolg für die Welt», skandierten sie, während ein Delegierter aus Panama daran erinnerte, dass «dies unsere letzte Chance auf einen globalen Rahmen» gegen die Plastikverschmutzung sein könnte.

In fast 25 Jahren hat sich der Verbrauch dieses Materials mehr als verdoppelt und lag 2024 bei schätzungsweise 500 Millionen Tonnen, von denen fast 400 Tonnen Millionen als Abfall enden. Wenn sich die Lage nicht stabilisiert, wird er sich bis 2060 noch einmal verdreifachen und auf über 1,2 Milliarden Tonnen ansteigen. Davon wird laut Schätzung der Abfall über eine Milliarde Tonnen ausmachen.

Schweizer Bevölkerung besonders gefährdet

Laut Greenpeace steht die Schweiz auf der Rangliste der Länder mit dem höchsten Anteil an gefährdeter Bevölkerung an zweiter Stelle. Mehr als 10 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner befinden sich demnach innerhalb von 10 Kilometern von einer Produktionsstätte, die mit Plastik in Verbindung steht. Experten schätzen die jährlichen Gesundheitskosten, die weltweit durch die Plastikverschmutzung entstehen, auf mindestens 1,5 Billionen US-Dollar.

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