Darum gehts
Schon ab Minute zwei der Show «Denn sie wissen nicht, was passiert» ist klar: Unser Tommy ist nicht mehr der Alte. Als er mit Barbara Schöneberger (51) und Günther Jauch (69) – beide im Schottenrock! – das Publikum begrüsst, fühlt es sich an diesem Samstagabend nur kurz so wie früher an. Auch weil er sein Gottschalk-Lächeln lächelt. Obwohl, nicht wirklich. Seltsam eingefroren wirkt es. Und noch etwas ist anders als sonst – also so, wie schon beim Bambi-Auftritt: Der Arme wirkt verwirrt. Teils unbeteiligt. Herzzerreissend.
So wollte er nicht von der Bühne gehen. Er wolle auf seine alten Tage nicht (unangenehm) auffällig werden, sagte er einmal. Und doch hat er sich nun angeschlagen vor die Kamera gewagt. Auch für uns, sein Publikum.
Thomas Gottschalk (75) leidet an einem hochaggressiven Krebs, hatte vor fünf Monaten eine Operation. Er kann nicht mehr. Der grösste Entertainer, den der deutschsprachige Raum hervorgebracht hat – er tritt ab. Für immer. Und nach ihm folgt nichts. Jetzt denkt ihr sicher: Mädchen, übertreib mal nicht! Doch mal ehrlich: Wen von diesem Format gibt es heute noch?! Eben.
Immer noch ein Publikumsmagnet
Thomas Gottschalk – trotz seiner Macken – hat erreicht, wovon Showleute heute nur träumen: Er ist ein Fernsehgott. Als er 2023 seinen allerletzten (von vier vorherigen) «Wetten, dass..?»-Abschied gab, schalteten ganze 13 Millionen Menschen zu. Heute liegen sich Fernsehmacher schon bei zwei Millionen Zuschauern in den Armen. Er schenkte uns den einen Moment aus den alten Zeiten wieder, den wir so vermisst haben: Als wir uns am Samstagabend mit der Familie vor der Flimmerkiste versammelten. Nur, um Tommy zu sehen, wie er im Frack und Vivienne-Westwood-Schottenrock (den er kurz hochhob, um keck seine Beine zu präsentieren) mit Model Cindy Crawford (59) auf der Couch plauderte (hoffentlich, ohne ihr ans Knie zu fassen!).
Dabei fing er seine Karriere dort an, wo man gar nichts von ihm sah: im Radio. In den Siebzigerjahren wurde er bei Bayern 3 mit seinen Rock- und Pop-Musiksendungen berühmt. Später wechselte er zum Fernsehen, moderierte «Telespiele» oder «Na sowas!». Machte irgendwann Filme mit Mike Krüger (73) wie «Die Supernasen» (was für eine Selbstironie!). Und wurde das Gesicht von Haribo. Letzteres wäre ohne die ZDF-Sendung «Wetten, dass..?» nie möglich gewesen. Sie verschaffte ihm den Durchbruch. Frank Elstner (83), ihr Erfinder, übergab sie ihm 1987. Ihr blieb er mit kurzen Unterbrüchen bis 2011 treu – ab 2009 mit der Bernerin Michelle Hunziker (48) an seiner Seite.
Mit «Wetten, dass..?» schrieb Thomas Gottschalk Fernsehgeschichte.
Gottschalk machte etwas ganz Neues
Der deutsche Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger ist Juror beim Grimme-Preis – dem wichtigsten deutschen Fernsehpreis. Er sagt: «Gottschalk war es, der die Show zum Flaggschiff der deutschen Fernsehunterhaltung gemacht hat.» Bis zu 20 Millionen Zuschauer schalteten jeweils zu. Aus ganz Europa.
Gottschalk war ein Showtitan. Das hatte auch damit zu tun, dass er einer ganz neuen Generation von Entertainern angehörte. Hallenberger sagt: «Gottschalk war ein Pionier.»
Bis in die Siebzigerjahre gab es laut dem Experten in westdeutschen Fernsehshows vor allem Chanson, Schlager und etwas Operette, die von betont seriösen Moderatoren präsentiert wurden. Aber um Gottes willen! Doch keine langhaarigen Irren wie Tommy, die Rock und Pop pushten. Und Fernsehshows mussten verkappte Bildungsangebote sein, wie Quizshows, oder sonst wie einem guten Zweck dienen. Keinesfalls durften sie einfach nur Spass machen. Thomas Gottschalk wischte das alles vom Tisch. Er machte sein Ding. Und er machte es gut.
Mit einer ganz eigenen Form von Entertainment: Er kann nicht singen, nicht tanzen, ist schauspielerisch ein absolutes Nulltalent. Doch er kann reagieren. Auf Leute, auf Situationen. Und das mit Charme. Als er einmal mit dem grossen Theologen Hans Küng (1928–2021) auf einer Kinobühne über Gott sprach, begann er den Abend laut einer Lokalzeitung mit dem Spruch: Er wundere sich, dass «mehr als drei ältere Damen auf dem Weg vom Reformhaus zum Rosenkranz» vorbeigeschaut hätten. Und lächelte schelmisch.
Im Showbiz wollte der Mann nur unterhalten. Er wollte nicht bilden oder journalistisch etwas erreichen. 1996 sass Michail Gorbatschow (1931–2022) in «Wetten, dass..?» neben ihm, die perfekte Gelegenheit, mit diesem über die Problematik der deutschen Wiedervereinigung zu sprechen – nichts da. Gottschalk interessierte viel mehr, ob dieser wirklich so viel Wodka trinkt und wie es mit dem damaligen Kanzler Helmut Kohl (1939–2017) in der Sauna war. Und wir, das Publikum, liebten ihn dafür! So sehr wie er uns für unsere Liebe liebte.
Das war sein Antrieb, wie er der Zeitung «Die Zeit» einmal sagte: die Menschen erfreuen. «Ich habe nichts anderes gelernt.» Es klingt wie Koketterie. Ist es aber nicht.
Schwerer Schicksalsschlag
Gottschalk war 14 Jahre alt, als sein Vater an der gleichen Krankheit starb, an der er selbst heute leidet: Krebs. Die Mutter überkam darob eine grosse Trauer, und der Sohn schlüpfte in die Rolle seines Lebens: Er wollte sie aufheitern, witzelte mit ihr. Noch als Erwachsener rief er sie nach jeder «Wetten, dass..?»-Show an, versicherte sich: «Habe ich dir Freude gemacht?»
Aus diesem Antrieb schuf er eine eigene Marke. Thomas Gottschalk steht heute für schillernde Outfits, ein loses Mundwerk und einen unkomplizierten Umgang mit Menschen, egal, ob es der Klempner Heinz ist oder Madonna (67). Der Fernsehshow-Experte Gerd Hallenberger sagt: «Gottschalk war der Letzte, der auf die klassische Weise auffiel.» Der nicht nur eine Show präsentierte, sondern auch ihr Star war. Heute sehe man eher den Typus Moderator ohne Eigenschaften. «Kompetent, aber austauschbar.» Namen will er keine nennen.
Natürlich übertrieb der Gute es damit. Erinnern wir uns an den Auftritt der Schauspielerin Uma Thurman (55) 2008, als er ihre Hand ergriff und streichelte und minutenlang nicht mehr losliess. Und man daheim vor Fremdscham am liebsten unters Sofa gekrochen wäre. Irgendwann ging das nicht mehr. Gottschalk fiel aus der Zeit und hadert seither unelegant mit der Gegenwart. Unvergessen seine Man-darf-nicht-mehr-alles-sagen-Rede oder der peinliche Schlagabtausch mit der Rapperin Shirin David (30) in der letzten «Wetten, dass..?»-Show. Oh, Tommy.
Darüber kann man jetzt den Kopf schütteln. Und es dann gut sein lassen. Die Häme der letzten Jahre ist unnötig. Was will man einen Mann umerziehen, der in einer ganz anderen Zeit gross geworden ist? Der sogar selbst erkannt hat, wie er der «Zeit» sagte: «Ich treffe den Ton nicht mehr so.» Schmälert das etwa, was er erreicht hat? Nö.
Thomas Gottschalk bleibt einer der ganz Grossen. Auch mit der letzten Sendung. Trotz seines schlechten Zustands hat er sich uns noch mal gezeigt. Und Abschied genommen.