Ehemaliger Ankläger zeigt heute Reue für Verurteilung
Texas-Hinrichtung durch Giftspritze in letzter Sekunde gestoppt

In Texas wurde die geplante Hinrichtung des verurteilten Mörders Robert Roberson im letzten Moment gestoppt. Neue Beweise sprechen für die Unschuld des Verurteilten. Selbst ein ehemaliger Ankläger, der Roberson in den Todestrakt brachte, bereut heute seine Ermittlungen.
Publiziert: 18.10.2024 um 05:07 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2024 um 09:05 Uhr
Der verurteilte Tochter-Mörder Robert Roberson hinter der Plexiglasscheibe im Gefängnis in Livingston, Texas, wo er im Todestrakt sass.
Foto: AFP
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Auf einen Blick

  • Hinrichtung von Robert Roberson in letzter Minute gestoppt
  • Roberson beteuert Unschuld, neue Erkenntnisse stellen Verurteilung infrage
  • Ehemaliger Ermittler bereut, Roberson in den Todestrakt gebracht zu haben
  • Wissenschaftler und texanische Abgeordnete setzen sich für Gnade für Roberson ein
  • Seit 1973 wurden in den USA mindestens 200 zum Tode Verurteilte freigesprochen
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Daniel KestenholzRedaktor Nachtdienst

Die Hinrichtung von Robert Roberson (57), der für den Mord an seiner Tochter zum Tod verurteilt worden war, ist in Texas am Donnerstag in letzter Minute gestoppt worden. Eine Richterin erliess nur 90 Minuten vor der geplanten Exekution eine einstweilige Verfügung gegen den Staat Texas. Daraufhin entschied auch der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates, die Hinrichtung aufzuschieben.

Den Morgen hatte Roberson noch mit seiner Frau verbracht, die er vor einigen Jahren heiratete. Am Nachmittag wurde er ins Staatsgefängnis von Huntsville überführt, wo die Vorbereitungen für die Exekution durch die Giftspritze in ein paar Stunden liefen. Dann kam der Bescheid des Aufschubs.

Dramatische Wende

Die dramatische Wendung erfolgte, nachdem ein Ausschuss des texanischen Repräsentantenhauses Roberson noch vorgeladen hatte, um in einer Anhörung auszusagen. Der Ausschuss prüft die Rechtmässigkeit von Robersons Verurteilung wegen Mordes an seiner zweijährigen Tochter vor über 20 Jahren.

Der autistische Roberson beteuert seine Unschuld und seine Anwälte argumentieren, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse die Diagnose des Schütteltraumas infrage stellen, auf der seine Verurteilung basierte.

«Ich habe ihn in den Todestrakt gebracht»

Die Entscheidung der Richterin und des höchsten Gerichts von Texas erfolgten nach einer Reihe von abgelehnten Berufungen in den letzten Tagen. Selbst der Oberste Gerichtshof der USA hatte es abgelehnt, einzugreifen.

Richterin Sonia Sotomayor, die den Aufschub verfügte, schrieb in einer Erklärung: «Wenige Fälle rufen dringender nach einem solchen Rechtsmittel als einer, in dem der Angeklagte ernsthafte Hinweise auf tatsächliche Unschuld vorgebracht hat, wie Roberson es hier getan hat.»

Auch ein ehemaliger Ermittler, der den Fall damals untersuchte, unterstützt Roberson nun. «Er ist ein unschuldiger Mann und wir sind sehr nahe daran, ihn für etwas zu töten, das er nicht getan hat», erklärte Brian Wharton vor dem Ausschuss. Der «New York Times» sagte Wharton: «Ich habe ihn in den Todestrakt gebracht. Er sollte nicht sterben.»

Fragwürdige Indizien

Über 30 Wissenschaftler und medizinische Experten sowie eine überparteiliche Gruppe von über 80 texanischen Abgeordneten haben sich für Gnade für Roberson eingesetzt. Auch Autismus-Interessenverbände und der Autor John Grisham unterstützen Roberson.

Robersons Anwälte argumentieren, dass seine Tochter Nikki an einer Lungenentzündung litt, die zu einer Sepsis fortgeschritten war. Zudem sei sie mit Medikamenten behandelt worden, die heute als ungeeignet für Kinder gelten. Auch ein undiagnostizierter Autismus bei Roberson habe zu seiner Verurteilung beigetragen.

Der Begnadigungsausschuss von Texas hatte zuvor einen Gnadenantrag abgelehnt. Gouverneur Greg Abbott (66) könnte die Hinrichtung noch um 30 Tage verschieben.

Schlaglicht auf Todesstrafe

Robersons Fall wirft ein Schlaglicht auf die Risiken der Todesstrafe. Laut dem Death Penalty Information Center wurden seit 1973 in den USA mindestens 200 zum Tode verurteilte Menschen freigesprochen, darunter 18 in Texas.

Die American Academy of Pediatrics hält das Schütteltrauma-Syndrom weiterhin für eine valide Diagnose. Kinderärzte wie Dr. Antoinette Laskey betonen, dass viele Faktoren bei der Diagnose berücksichtigt werden.

Allerdings wurde die Diagnose in den letzten Jahren verstärkt in Gerichtsverfahren hinterfragt. Seit 1992 wurden in mindestens 17 US-Bundesstaaten Menschen freigesprochen, die wegen Schütteltraumas verurteilt worden waren.

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Texas will Roberson trotzdem hinrichten

Ob Robersons Hinrichtung nun endgültig gestoppt ist, bleibt unklar. Der Staat Texas hat bereits Berufung gegen die einstweilige Verfügung eingelegt. Sollte die Vollstreckung nicht bis Mitternacht erfolgen, müsste ein neuer Hinrichtungstermin angesetzt werden.

Robersons Schwägerin Jennifer zeigte sich «wütend, untröstlich und entsetzt» über die geplante Hinrichtung. «Das ist kein rechtmässiger Vollzug, das ist Mord», sagte sie gegenüber CNN.

Ethische Debatte

Der Fall Roberson verdeutlicht die komplexen ethischen und rechtlichen Fragen rund um die Todesstrafe. Er zeigt auch, wie wissenschaftliche Erkenntnisse juristische Entscheidungen infrage stellen können – selbst Jahrzehnte nach einer Verurteilung.

Die dramatischen Entwicklungen in letzter Minute unterstreichen die Bedeutung gründlicher Prüfungen in Todessstrafe-Fällen. Unabhängig vom Ausgang dieses Falls dürfte die Debatte um die Todesstrafe in den USA weitergehen.

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