Die Proteste in Katalonien ebben nicht ab. Am Freitag legte ein Generalstreik die gesamte Region lahm, in Barcelona gingen mehr als eine halbe Million Menschen auf die Strasse. Bei Einbruch der Dunkelheit zettelten militante Separatisten die schwersten Ausschreitungen an, die die Touristenmetropole seit Jahrzehnten erlebt hat.
Entzündet haben sich die Demonstrationen an den drakonischen Haftstrafen gegen neun Führer der Bewegung. Einer von ihnen: Jordi Cuixart (44), Chef der einflussreichen Kulturvereinigung Omnium. Er sitzt seit zwei Jahren im Gefängnis, jetzt wurde er zu neun Jahren Haft verurteilt. SonntagsBlick hat in Barcelona seine Ehefrau Txell Bonet (44) zum Interview getroffen. Zusammen mit dem Separatistenführer hat die katalanische Journalistin zwei kleine Söhne, der jüngere ist gerade mal 26 Tage alt.
Der 16. Oktober 2017 hat Ihr Leben verändert. An diesem Tag vor zwei Jahren wurde Ihr Ehemann in Madrid verhaftet. Wo waren Sie zu jener Stunde?
Txell Bonet: Es war spät am Abend, und ich sass mit unserem damals sechs Monate alten Sohn zu Hause in Barcelona. Da kam die Nachricht: Mein Mann Jordi wurde verhaftet und in U-Haft gesperrt.
Seither sitzt er im Gefängnis. Mehr noch: Am letzten Montag verurteilte ihn der Oberste Gerichtshof zu neun Jahren Haft wegen Aufruhr.
Ein politisches Urteil. Jordi hat einzig dafür gekämpft, dass die Katalanen in einem Referendum über ihre Unabhängigkeit abstimmen dürfen.
Die spanische Justiz sieht dies anders. Mit der Organisation von Demonstrationen soll er gegen die Verfassung verstossen haben.
Haben wir denn keine Meinungsfreiheit mehr? Keine Versammlungsfreiheit? Die Aktionen waren stets friedlich.
Nun sitzt er für lange Zeit im Gefängnis. Sind Sie wütend?
Nein. Wut bringt niemandem etwas. Ich versuche, weiterhin positiv zu denken und nach vorne zu blicken. Weiterzukämpfen. Mein Mann und ich haben für unsere Projekte schon in der Vergangenheit auf ein kleinbürgerliches Leben verzichtet. Das tun wir auch für unsere Ziele, die wir heute verfolgen.
Die Selbstbestimmung Kataloniens.
Nicht nur. Auch für unser Projekt Familie. Vor 26 Tagen ist unser zweiter Sohn auf die Welt gekommen.
Sein Vater wird ihn nicht aufwachsen sehen. Tut das nicht weh?
Damit müssen wir uns abfinden. Schön ist das nicht. Aber was bleibt uns anderes übrig? Wir haben entschieden, dass wir uns das Projekt Familie nicht nehmen lassen – Gefängnis hin oder her.
Wie geht Ihr Mann damit um?
Jordi ist ein Kämpfer. Er sagt sogar: Meine Priorität ist nicht freizukommen, sondern den Katalonien-Konflikt zu lösen. Deshalb kämpft er auch aus dem Gefängnis heraus weiter.
Hat er nie daran gedacht, sich politisch zurückzuziehen? In der Hoffnung, dadurch vielleicht früher freizukommen?
Nie. Und diese Entscheidung respektiere ich. Er will sein Projekt, das er begonnen hat, zu Ende führen. Zwar kann er dabei nicht mit seinen Kindern zusammen sein, aber er kämpft für ihre Zukunft.
Wie oft sehen Sie Ihren Mann?
Höchstens einmal pro Woche für knapp eineinhalb Stunden. Seit einiger Zeit ist Jordi in der Nähe von Barcelona inhaftiert. Das macht es einfacher. Zuvor war er in einem Gefängnis in Madrid. Ich musste mit meinem Sohn jede Woche 300Kilometer mit dem Zug hin- und 300 Kilometer zurückfahren, um ihn – meist nur hinter einer Glaswand – sehen zu können.
Eineinhalb Stunden pro Woche. Über was redet man, wenn einem nur so viel Zeit bleibt?
Es gäbe so viel zu besprechen. Aber wissen Sie, mein zweieinhalbjähriger Sohn nimmt seinen Papa sofort in Anspruch, wenn wir bei ihm sind. Da habe ich das Nachsehen (lacht).
Wie erklären Sie Ihrem Sohn, warum sein Vater nicht nach Hause kommt?
Noch versteht er die Situation nicht. Er denkt, das Gefängnis sei das Zuhause seines Papas. Ich geniesse den Anblick der beiden, wenn sie miteinander spielen.
Die Verhaftung Ihres Mannes hat Sie selbst zur Aktivistin gemacht. Sie kämpfen an vorderster Front für Kataloniens Unabhängigkeit.
Vor allem kämpfe ich dafür, dass wir legal darüber abstimmen dürfen und das Ergebnis anerkannt wird. Und ich kämpfe gegen die Inhaftierung von friedlichen Aktivisten, für die Freilassung der politischen Gefangenen, wie mein Mann einer ist. Wir Ehefrauen der Inhaftierten haben uns zusammengeschlossen. Wenn der Staat unsere Partner mit Haftstrafen zum Schweigen bringen will, spielen wir da nicht mit. Wir tragen die Stimme unserer Männer nach draussen.
Die harten Urteile gegen Ihren Mann und acht weitere Katalanenführer haben heftige Proteste ausgelöst. Seit Tagen kommt es zu Gewalt auf den Strassen. Ist das nicht kontraproduktiv?
Ich verurteile Gewalt. Diejenige der Demonstranten genauso wie diejenige der Polizei. Unsere Bewegung war immer friedlich und das muss sie bleiben. Unser Mittel sollte der gewaltlose zivile Ungehorsam sein. Und der Dialog – sofern Madrid denn dafür bereit ist.
Seit dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2018 befinden sich Katalonien und der Rest Spaniens in einer angespannten Situation. Nach den harten Gerichtsurteilen Mitte Oktober 2019 gegen führende Separatisten-Politiker eskaliert die Situation und es kommt zu Krawallen in Katalonien. Mit dem BLICK-Newsticker verpassen Sie keine aktuellen Entwicklungen im Kampf um die Unabhängigkeit der Katalanen.
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