Darum gehts
- Jan Marsalek floh 2020 nach Wirecard-Skandal und wird international gesucht
- Fingierte Fluchtroute über Philippinen, tatsächlich nach Russland mit gefälschten Papieren
- Spionage für Russland wird ihm auch zugeschrieben
Es war einer der grössten Wirtschaftsskandale der Geschichte, der am 18. Juni 2020 über Deutschland hereinbrach. Der Münchner Finanzdienstleister Wirecard stand am Abgrund: 1,9 Milliarden Euro fehlten in der Bilanz des Unternehmens. Es zeigte sich: Immer wieder waren nicht vorhandene Milliardenumsätze erfunden worden.
Als einen der führenden Köpfe hinter dem mutmasslichen Milliardenbetrug wird der ehemalige Chief Operating Officer, Jan Marsalek (45), verdächtigt. Der gebürtige Österreicher tauchte unter. Und stellt die Behörden, die Marsalek per internationalen Haftbefehl suchen, auch fünf Jahre später noch immer vor Rätsel. Blick zeigt, was über seine Flucht und seinen Aufenthaltsort bekannt ist.
Fingierte Fluchtroute
Am Abend des 19. Juni 2020 setzte sich Marsalek in einen Jet an einem kleinen Flughafen in Bad Vöslau, südlich von Wien. Er landete in Minsk. Von dort sei es mit dem Auto weiter nach Moskau gegangen. Dies zeigten Recherchen von «Spiegel», der ZDF-Sendung «Frontal», dem österreichischen «Standard» und dem russischen Magazin «The Insider». Unterstützung habe Marsalek dabei von Stanislaw Petlinski bekommen. Der ehemalige Mitarbeiter der Moskauer Präsidialverwaltung soll enge Kontakte in den russischen Sicherheitsapparat unterhalten.
Um die Fahnder abzulenken, sei eine fingierte Spur über die Philippinen nach China gelegt worden. Im Computersystem der philippinischen Einwanderungsbehörde tauchte sogar Marsaleks Name auf. Doch in Wahrheit soll er längst in Moskau angekommen und dort mit gefälschten Papieren ausgestattet worden sein, schreibt der «Spiegel».
Ein russischer Priester
Weiter zeigten Recherchen: Anfang September 2020 erhielt Marsalek einen russischen Reisepass, ausgestellt auf den Namen Konstantin Bajasow. Es handle sich nach «Spiegel»-Angaben um den ersten von wahrscheinlich zwei russisch-orthodoxen Priestern, deren Identität sich Marsalek angeeignet haben soll. Bajasow und der Ex-Wirecard-Manager sehen sich ähnlich, ihre Geburtsdaten trennen nur ein Jahr. Einen Tag später sei Marsalek mit dieser neuen Identität auf die Halbinsel Krim gefahren. Dort verlor sich die Spur zunächst.
Blutspur
Knapp ein halbes Jahr später habe es neue Erkenntnisse über den Verbleib von Marsalek gegeben, berichtete der «Spiegel» weiter. Im Januar 2021 sei einem Alexander Schmidt in einem Apartment in den «Neva Towers» in Moskau Blut abgenommen und in einem Labor unter anderem auf Geschlechtskrankheiten untersucht worden. Recherchen ergaben, dass es sich wahrscheinlich um eine Tarnidentität Marsaleks gehandelt habe. 2022 habe er zum Blutabnehmen in Moskau die gestohlene Identität des Geistlichen Witalij Malkin benutzt. Wahrscheinlich lebe er auch weiterhin die meiste Zeit in Russland.
Kontakt zu russischen Geheimdiensten
Marsaleks Verbindungen zu den russischen Geheimdiensten seien zentral über die Beziehung zu seiner russischen Geliebten Natalia Zlobina zustande gekommen, schreibt «ZDF heute». 2014 habe sie ihn auch mit Stanislaw Petlinski bekannt gemacht. Über diesen habe Marsalek 2017 Bekanntschaft mit dem Geheimdienstchef der Söldner-Truppe Wagner, Antoli Karazi, geschlossen. Es wird angenommen, dass Marsalek seit mindestens 2014 für Moskau spionierte.
Spionage für Russland und China?
Seit seiner Flucht habe Jan Marsalek versucht, mit verschiedenen Ländern Geschäfte aufzubauen, vor allem mit China. Dies zeigte die Auswertung Tausender Chats, die in diesem Jahr bei Gerichtsverhandlungen am Central Criminal Court in London vorgelegt wurden. Sechs Bulgaren wurden Mitte Mai wegen Spionagetätigkeiten für Russland zu teils hohen Haftstrafen verurteilt. Sie handelten mutmasslich in Marsaleks Auftrag.
In den Chats zwischen dem Anführer der Gruppe, Orlin Roussew, und Marsalek sei es laut «Tagesschau» unter anderem um mögliche Lieferungen von militärisch relevantem Material für China gegangen. Weiter seien Entführungs- oder Tötungspläne russlandkritischer Journalisten in ganz Europa diskutiert worden.