Der Schweizer Söldner Jona Neidhart schockiert mit Ukraine-Erfahrungen
«Wegen mir sitzt jetzt irgendwo in Russland eine Witwe»

Nach mehreren Monaten bei einer ukrainischen Eliteeinheit ist der gebürtige Zürcher Jona Neidhart (37) heimlich in die Schweiz zurückgekehrt. Am Montagmorgen stellte er sich der Polizei. Blick weiss, was Neidhart in der Ukraine getan hat.
Publiziert: 01.09.2025 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 02.09.2025 um 17:25 Uhr
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Jona Neidhart hat mehr als zweieinhalb Jahre lang an der Ukraine-Front gekämpft.
Foto: Thomas Meier

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Ende der vergangenen Woche steht Jona Neidhart (37) am Grab seiner Mutter in Kirchlindach BE. Wahrscheinlich zum letzten Mal für lange Zeit, denkt sich der Schweizer Ukraine-Söldner zu diesem Zeitpunkt. Das goldene Windrädchen neben dem Totenkreuz dreht im Sommerwind. Neidhart hat Tränen in den Augen. «Mehr als 40 Kameraden habe ich an der Front verloren.» Nichts mehr könnte ihn schockieren, dachte sich Neidhart. «Aber Mamis Tod hat mich hart getroffen.»

Jona Neidhart besucht das Grab seiner Mutter auf dem Friedhof in Kirchlindach BE.
Foto: Thomas Meier

Die Nachricht von der schweren Erkrankung seiner Mutter hatte den gebürtigen Zürcher Anfang Juni dazu bewogen, seine Kameraden bei der ukrainischen Eliteeinheit 3. Sturmbrigade zu verlassen und heimlich von der Ukraine-Front zurück nach Zollikofen BE zu reisen. Wenige Tage später starb seine Mutter. Jetzt will Neidhart reinen Tisch machen.

Wer wie Neidhart für fremde Länder Dienst leistet, begeht laut Schweizer Militärgesetz eine Straftat und muss je nach Art seines Dienstes mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe rechnen. Und Jona Neidhart hat Dinge getan, die nur wenige Schweizer je getan haben.

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Im Juni ist er heimlich in die Schweiz zurückgekehrt. Am Montag hat er sich der Polizei gestellt. Dienst in fremden Armeen ist für Schweizer Bürger verboten.
Foto: Thomas Meier

An die Front trotz Ausreisesperre

Am Montagmorgen stellte sich Neidhart der Militärpolizei auf dem Posten in Worblaufen BE. Für ihn nichts Neues: Im Juni 2024 liess er sich schon einmal vorübergehend festnehmen, nachdem er von seinem ersten Fronteinsatz in der Ukraine (März 2022 bis Dezember 2023) zurück in die Schweiz gekommen war. Die Militärjustiz hatte ein Verfahren gegen ihn eröffnet, nachdem der Blick Neidharts Kampfeinsatz in der Ukraine im Februar 2024 publik gemacht hatte.

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Bis Prozessbeginn wurde er damals auf freien Fuss gesetzt – und ist trotzdem erneut an die Front gereist. Den Beamten hat er auch diesmal viel zu erzählen. Blick weiss, was Neidhart zuletzt in der Ukraine gemacht hat.

Rückblende: Am vergangenen Donnerstag sitzt Neidhart in der Uniform seiner ukrainischen Eliteeinheit auf dem Bett seines Zimmers in der elterlichen Wohnung in Zollikofen. An den Boxsack gelehnt steht ein riesiger Militärrucksack, nebenan stapeln sich 27 Plüschtiere. An der Wand hängen Bibelsprüche und Familienbilder. Jona Neidhart ist ein gläubiger Christ – und ein vehementer Ukraine-Verteidiger.

Auf seinem Bett liegt der Armeeschlaftsack, den er bei seinem Einsatz bei der ukrainischen 3. Sturmbrigade erhalten hatte.
Foto: Thomas Meier

3000 Dollar im Monat für tödliche Kampfeinsätze

Dass ihn die Militärjustiz nach seiner vorübergehenden Festnahme im Sommer 2024 mit einer Ausreisesperre belegt hatte, akzeptierte er zunächst. Doch im Dezember 2024 ist dem einstigen Grenadier der Geduldsfaden gerissen.

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«Ich wollte nicht länger Zeit verschwenden. Die Ukraine braucht Kämpfer – und ich kann kämpfen.»
Jona Neidhart
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«Ich wollte nicht länger Zeit verschwenden. Die Ukraine braucht Kämpfer – und ich kann kämpfen. Ich wollte meinen Freunden helfen, die Russen aus ihrem Land zu schmeissen», erzählt Neidhart. Seine sanfte Stimme passt nicht zu seiner imposanten Erscheinung. Und schon gar nicht zu den brutalen Geschichten, die er aus seinem letzten Einsatz an der Kriegsfront zu berichten weiss.

Am 24. Januar dieses Jahres unterzeichnete der gebürtige Zürcher einen Drei-Jahres-Vertrag mit der 3. Sturmbrigade. 500 Dollar erhielt er im Monat, während Fronteinsätzen 3000 Dollar. Dazu eine professionelle Ausrüstung inklusive AK-74-Sturmgewehr und jenem Schlafsack, der jetzt auf seinem Bett in Zollikofen liegt.

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3:27
Ukraine-Söldner Jona Neidhart:«Meine Mutter lag im Sterben, darum bin ich zurück»

Der Russe im Gebüsch: Notwehr oder Kriegsverbrechen?

Der kahlgeschorene 1,90-Meter-Hüne erzählt offen von seinen oft todbringenden Missionen an der Donbass-Front. Zum Beispiel von jenem 30. April 2025, als er gemeinsam mit drei Kameraden in einer Frontstellung östlich der ukrainischen Stadt Izjum von drei russischen Soldaten und mehreren Kampfdrohnen angegriffen wurde.

Ein Kamerad starb, zwei wurden schwer verletzt. «Plötzlich war ich allein gegen drei Russen und all die Drohnen. Die grösste Gefahr kommt in der Ukraine neuerdings oft vom Himmel. Das war in meinen ersten zwei Jahren an der Front noch nicht so krass», erzählt Neidhart. Er schnappte sich die Magazine der kampfunfähigen Kameraden und schoss wie wild um sich. «3D-Verteidigung», sagt er, ein «Schutzschild aus Kugeln». Die drei Russen trieb er in die Flucht, eine ukrainische Drohne tötete sie.

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«Ich habe dem Russen einmal in den Kopf geschossen – um sicherzugehen, dass er nicht doch noch aufspringt und uns eine Granate vor die Füsse wirft»
Jona Neidhart
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Doch kurz darauf schickten die Russen einen neuen Trupp gegen Neidharts Stellung los. Gemeinsam mit zwei dazu gestossenen Kameraden kämpfte Neidhart stundenlang gegen die Drohnen, Artilleriegeschosse und russischen Soldaten an. «Alles hat geschüttelt und gerüttelt.»

Einen der russischen Angreifer fanden sie Stunden später in einem Gebüsch. Sein Nebenmann, so erzählt es Neidhart, entlud sein ganzes Magazin auf den Russen, 30 Schuss. Und Neidhart selbst? «Ich habe dem Russen einmal in den Kopf geschossen – um sicherzugehen, dass er nicht doch noch aufspringt und uns eine Granate vor die Füsse wirft», sagt Neidhart.

Eine Notwehrsituation? Ein Kriegsverbrechen? Neidhart sagt, das sei eine «Grauzone in einer extremen Stresssituation» gewesen, wie es sie in den brutalen Gefechten an der Ukraine-Front leider immer wieder gäbe.

Aber ein Kopfschuss auf einen Darniederliegenden? «Wir hatten den klaren Auftrag unseres Vorgesetzten, den Angreifer zu töten», sagt Neidhart. Mehrfach hätten Kameraden der 3. Sturmbrigade Begegnungen gehabt mit Russen, die sich totgestellt hätten und dann plötzlich das Feuer eröffneten. «Wir mussten sicher sein, dass er tot ist, um unser Leben zu schützen», sagt Neidhart.

Mitleid mit dem toten Russen

Als Neidhart den toten Russen nach Dokumenten absucht, findet er an dessen Finger einen Ehering. Ein verheirateter Mann, wahrscheinlich ein Familienvater. «Irgendwo in Russland sitzt jetzt eine Witwe, vielleicht verwaiste Kinder, wegen mir», sagt Neidhart. «Mein Zorn auf Putin, der diesen Mann mit Propaganda und Lügen vollstopfte und hierhin in dieses fremde Land hetzte, stieg in diesem Moment von 100 auf 1000 Prozent.» Den Leichnam liess er zurück. Die Bilder des toten Russen bleiben in seinem Kopf.

Wladimir Putin (72) rekrutiert seine Soldaten zu grossen Teilen in den ärmeren Regionen Russlands, oft aus Gefängnissen mit dem Versprechen auf Haftreduktion. Obdachlose und Drogenabhängige landen in grosser Zahl an der Front. Eine verächtliche Praxis. Der Kreml-Herrscher vernichte nicht nur das ukrainische Volk, sondern auch sein eigenes, sagt Neidhart.

Er hofft, dass die brutalen Kämpfe an der Kriegsfront den Rest der Welt wachrütteln und zu entschlossenem Handeln gegen Putins Russland bewegen. «Die Schweiz muss irgendwann aus ihrem schummrigen Todesschlaf erwachen. Dieser Krieg betrifft auch unsere Sicherheit», betont der Ex-Kämpfer.

Grosse Überraschung auf dem Polizeiposten

Zuerst aber will Neidhart jetzt seinen Prozess hinter sich bringen. Als Wiederholungstäter drohen dem Ukraine-Söldner bis zu viereinhalb Jahre Haft. Wenige Minuten, bevor er sich am Montag in Worblaufen der Polizei stellt, sagt Neidhart zu Blick: «Ich will Verantwortung für mein Handeln übernehmen und möchte ein politisches Zeichen setzen.» Die Schweiz müsse ihre Neutralität überdenken. «Ich werde die Neutralität noch hundertmal brechen, wenn das nötig ist, um Putin zu stoppen.»

Nur Minuten bevor sich Neidhart der Militärpolizei stellt, wirkt er entspannt und vor allem entschlossen, obwohl er mit einer Inhaftierung rechnet.
Foto: Sebastian Babic

Als sich Neidhart und sein Anwalt stellen möchten, ist der Militärpolizist an der Gegensprechanlage des Militärpolizeipostens zunächst verdutzt: «Ein Haftbefehl? Er wird vom Militär gesucht?» Das Eingangsgatter geht auf, Neidhart verabschiedet sich.

Kaum zwei Stunden später steht er wieder draussen. «Mein Untersuchungsrichter ist momentan in den Ferien. Er hat mich einfach gefragt, ob ich bereit wäre, meine Reisedokumente abzugeben.» In rund zwei Wochen werde er wieder hier sein. «Ich habe echt gedacht, dass sie mich behalten», sagt Neidhart.

Unglücklich sei er nicht, denn: «Nach dem Tod meiner Mutter gibt es noch vieles zu erledigen.» Nun kann er seinen Vater unterstützen. Trotzdem freue er sich auf die kommende Einvernahme: «Nur so kann ich meine Botschaft platzieren.»

Ukraine-Söldner Neidhart stellt sich der Polizei
1:33
«Fühle mich entspannt»:Ukraine-Söldner Neidhart stellt sich der Polizei

Neidharts Appell an Schweizer Armee

Auf seine Einvernahme freut sich der Ex-Ukraine-Kämpfer. «Ich hätte viel zu berichten über das, was ich bei der ukrainischen Armee gelernt habe. Auch die Schweizer Armee darf immer auf mich zukommen. Ich will ihnen meine Erkenntnisse aus dem Krieg weitergeben», sagt Neidhart.

Jona Neidhart hätte der Schweizer Armee viel zu erzählen, sagt er.
Foto: Samuel Schumacher

Eine mögliche Gefängnisstrafe will er akzeptieren. Stoppen lassen werde er sich aber nicht, sagt Neidhart. «Ich bin noch immer bereit, für die Ukraine zu sterben.» Seinen laufenden Vertrag mit der 3. Sturmbrigade hat er lediglich pausiert. Noch sind zwei Jahre und acht Monate Dienst zu leisten. Vertrag ist Vertrag. Neidhart will ihn erfüllen, ganz egal, was die Schweizer Gesetzgebung dazu meint.

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