Der grosse Folter-Report
Amnesty lässt Opfer erzählen

Laut der Menschenrechts-Organisation Amnesty International foltern über 100 Staaten noch heute systematisch Verdächtige. Nicht immer zu unrecht, finden viele.
Publiziert: 13.05.2014 um 22:33 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 09:41 Uhr
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Der Marokkaner Ali Aarrass dokumentierte die Foltermethoden, mit denen er gequält wurde. Noch heute werde er mit Schlafentzug oder dem Befehl, sich nackt auszuziehen, gefoltert, berichtet er.
Foto: Amnesty International
Von Lea Hartmann

Die Qual ist unvorstellbar. Menschen werden mit Elektroschocks an Geschlechtsteilen malträtiert, ihre Zehen- und Fingernägel ausgerissen, geschlagen, vergewaltigt. Laut Amnesty International wird Folter und Misshandlung in mindestens 141 Staaten praktiziert.

Die Menschenrechts-Organisation hat einen neuen Bericht zum Thema präsentiert. Er basiert auf eigenen Recherchen, welche über die vergangenen fünf Jahre geführt wurden. Gleichzeitig lanciert Amnesty International die Kampagne «Stop Torture». Das Ziel: die Durchsetzung des Folterverbots. Weltweit, ohne Ausnahme.

Denn obwohl 155 Länder die Anti-Folter-Konvention der Uno ratifiziert haben und das Folterverbot ausserdem als zwingendes Völkerrecht gilt, halten sich nach Angaben der Organisation eine Mehrheit der Ländern nicht an das Abkommen. «Vielen Regierungen fehlt der politische Wille zur Umsetzung», sagt Patrick Walder von Amnesty Schweiz. «Sie verstecken sich hinter einer Doppelmoral.»

Petition lanciert

Der Grund dafür sind auch die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten gegen Staaten, die sich nicht an das Abkommen halten. «So können wir nicht viel mehr tun, als diese Länder an den Pranger zu stellen», sagt Walder.

Ausserdem will Amnesty durch die Kampagne ins Gespräch mit Regierungen und Behörden kommen, welche das Folterverbot offensichtlich missachten. Rahmen dafür bildet eine internationale Petition. Sie porträtiert Folter-Opfer aus allen Teilen der Welt (siehe unten) und fordert die entsprechenden Behörden auf, beispielsweise durch Folter erzwungene Urteile aufzuheben oder zu revidieren. «Gleichzeitig wollen wir, dass Massnahmen umgesetzt werden, die das System insgesamt verändern», sagt Walder.

Ein Drittel findet Folter teilweise legitim

Ein Problem dabei: Folter und Misshandlung wird in einigen Teilen der Welt noch immer als legitimes Mittel der Behörden zur Beschaffung von Informationen oder Bestrafung betrachtet. Das zeigt eine Umfrage bei über 21'000 Personen aus 21 Ländern, durchgeführt durch das internationale Forschungsinstitut GlobeScan. Ein Drittel der Befragten stimmt der Aussage zu, dass Folter in gewissen Fällen gerechtfertigt ist. In China und Indien sind es gar drei von vier Personen, die dieser Aussage zustimmen. In Kenia und Nigeria sind es rund zwei Drittel, in den USA immerhin 45 Prozent.

«Das ist beunruhigend», sagt Walder. Die hohe Zustimmungsrate sei das Ergebnis der öffentlichen Debatte, welche nach den Anschlägen am 11. September 2001 durch die USA geprägt worden sei. «Amerika rechtfertigte Foltermethoden im Kampf gegen den Terror als notwendig. Andere Länder sagten sich: Wenn die grosse USA das darf, dürfen wir das auch. Mit verheerenden Folgen.»

Dabei habe die Überzeugung einer Mehrheit der Menschen, dass Folter nur bei Terroristen angewandt werde, «mit der Realität wenig zu tun». «Eine grosse Mehrheit der Opfer sind Verdächtige von Delikten wie Diebstahl oder Drogenschmuggels.»

Elektroschocks an den Hoden

Der belgisch-marokkanische Doppelbürger Ali Aarrass befindet sich zurzeit in einem Gefängnis nahe Rabat, der Hauptstadt Marokkos. Der Vater wird verdächtigt, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Um ein Geständnis zu erzielen, wurde an ihm die Foltermethode «Falaqa» angewandt. Dabei wird dem Opfer auf die Fusssohlen geschlagen. Weiter wurden ihm unter anderem Elektroschocks an den Hoden verabreicht und brennende Zigaretten auf den Körper gedrückt. 2013 gelang es Aarrass, Skizzen der erlittenen Foltermethoden aus dem Gefängnis zu schmuggeln (siehe Fotos oben). Experten, die ihn in Haft besuchten, konnten ausserdem Folterspuren nachweisen. Aarrass wurde erst zu 15, in einem Berufungsprozess schliesslich zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.

Ali Aarrass wurde zu 12 Jahren Haft verurteilt.
Ali Aarrass wurde zu 12 Jahren Haft verurteilt.
Amnesty International

Der belgisch-marokkanische Doppelbürger Ali Aarrass befindet sich zurzeit in einem Gefängnis nahe Rabat, der Hauptstadt Marokkos. Der Vater wird verdächtigt, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Um ein Geständnis zu erzielen, wurde an ihm die Foltermethode «Falaqa» angewandt. Dabei wird dem Opfer auf die Fusssohlen geschlagen. Weiter wurden ihm unter anderem Elektroschocks an den Hoden verabreicht und brennende Zigaretten auf den Körper gedrückt. 2013 gelang es Aarrass, Skizzen der erlittenen Foltermethoden aus dem Gefängnis zu schmuggeln (siehe Fotos oben). Experten, die ihn in Haft besuchten, konnten ausserdem Folterspuren nachweisen. Aarrass wurde erst zu 15, in einem Berufungsprozess schliesslich zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.

Geschlagen und erniedrigt

Die alleinerziehende Mutter Alfreda Disbarro wurde im Herbst vergangenen Jahres festgenommen, als sie in einem Internetcafé in der Nähe ihres Hauses auf den Philippinen sass. Sie wurde verdächtigt, mit Drogen zu dealen.

Nachdem sie bereits in der Öffentlichkeit geschlagen und mit einer Waffe bedroht wurde, ging die Misshandlung auf der Polizeistation weiter. Ein Beamter stach mit seinen Finger in Disbarros Augen und zwang sie, einen Wischmop in den Mund zu nehmen. Anschliessend wurde sie mehrere Male gegen die Wand geschleudert und in der Folge gezwungen, ein weisses Blatt zu unterschreiben und mit Geld und Drogen für ein Foto zu posieren.

Fünf Tage nach der Festnahme wurde Disbarro angeklagt. Im Gefängnis wartet sie nun auf ihren Prozess.

Alfreda Disbarro wird des Drogenhandels verdächtigt.
Alfreda Disbarro wird des Drogenhandels verdächtigt.
Amnesty International

Die alleinerziehende Mutter Alfreda Disbarro wurde im Herbst vergangenen Jahres festgenommen, als sie in einem Internetcafé in der Nähe ihres Hauses auf den Philippinen sass. Sie wurde verdächtigt, mit Drogen zu dealen.

Nachdem sie bereits in der Öffentlichkeit geschlagen und mit einer Waffe bedroht wurde, ging die Misshandlung auf der Polizeistation weiter. Ein Beamter stach mit seinen Finger in Disbarros Augen und zwang sie, einen Wischmop in den Mund zu nehmen. Anschliessend wurde sie mehrere Male gegen die Wand geschleudert und in der Folge gezwungen, ein weisses Blatt zu unterschreiben und mit Geld und Drogen für ein Foto zu posieren.

Fünf Tage nach der Festnahme wurde Disbarro angeklagt. Im Gefängnis wartet sie nun auf ihren Prozess.

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