Argentinien hat in der Corona-Pandemie sehr früh reagiert. Obwohl kaum Fälle bekannt waren, schloss das Land Mitte März seine Grenzen und beschloss einen strikten Lockdown. Nicht einmal zum Spazieren oder Joggen dürfen die Bewohner vor die Türe. Bis am 26. April sind die Massnahmen noch in Kraft, dann aber soll das Land langsam zur Normalität zurückkehren.
Die Wirtschaft wartet sehnlichst auf eine Lockerung. Argentiniens Inflationsrate war bereits vor der Corona-Krise im Januar auf den höchsten Stand seit 28 Jahren geklettert. Die Pandemie hat die Wirtschaftslage nun zusätzlich verschlechtert. Die Lage auf dem ganzen Kontinent ist ernst, warnen Experten. Sie befürchten die schwerste Rezession in der Geschichte Lateinamerikas.
«Unsere grosse Angst ist der Verlust der Freiheit»
Mit diesen düsteren Zukunftsaussichten vor Augen hat der Bürgermeister von Buenos Aires, Horacio Rodríguez Larreta (54), vergangene Woche einen kühnen Plan vorgestellt: Personen die 70 Jahre oder älter sind, sollen nach dem Lockdown weiter zu Hause bleiben müssen. Wenn sie ihre Häuser verlassen wollen, müssen sie sich eine Genehmigung bei ihrer Gemeinde einholen. Verstossen sie gegen die Regeln, droht den Senioren eine saftige Geldbusse.
Bürgermeister Larreta hatte sich bereits den Segen von Argentiniens Präsident Alberto Fernández (61) eingeholt, ehe ihn die öffentliche Entrüstung übers Wochenende zu einer Kehrtwende zwang. Kritiker nannten den Plan von der Hauptstadt Buenos Aires «verfassungswidrig» und «diskriminierend».
«Wir halten es für eine unangemessene und inakzeptable Massnahme, weil so ein Gefühl von altersbedingter Behinderung erzeugt wird», sagte Eugenio Semino, der Ombudsmann für Senioren in Argentinien, gegenüber «Al Jazeera». Ältere Menschen seien nicht selbstmordgefährdet. «Wir brauchen einfach die gleichen Erklärungen wie andere Personen auch», so Semino. «Unsere grosse Angst ist nicht der Tod, sondern vielmehr die Angst vor dem Verlust der Autonomie. Der Verlust der Freiheit.»
Der Senioren-Kompromiss von Buenos Aries
Bürgermeister Larreta sagte am Montag nun, dass man die älteren Personen nicht zwingen werde, zu Hause zu bleiben. Er verteidigte seinen Plan: «Ich suche mir nicht aus, wen die Pandemie angreift. Alle Entscheidungen haben ein einziges Kriterium. Wir wollen uns um das Leben der Bewohner dieser Stadt kümmern.»
Sein neuer Plan ist ein Kompromiss: Die Regierung von Buenos Aires rät den über 70-Jährigen, eine gebührenfreie Nummer anzurufen. Dort sollen sie melden, wenn sie das Haus verlassen wollen. Mitarbeiter werden dann versuchen, Alternativen aufzuzeigen. «Beispielsweise können wir auf kostenlose Hilfe hinweisen, die Einkäufe für Senioren erledigen», so Bürgermeister Larreta. Er stellte aber klar: «Es wird keine Strafe geben, wenn ältere Menschen das Haus ohne Ankündigung verlassen.» (nim)