Bruch mit langjähriger Linkspolitik
Rechtsgerichtete Präsidentschaftskandidaten ziehen in Bolivien in die Stichwahl

Bolivien steht vor einem politischen Wandel inmitten einer schweren Wirtschaftskrise. Die Wähler strafen die langjährige linke Regierung ab. Beide Stichwahl-Kandidaten versprechen einen Bruch mit der bisherigen Politik und wollen die Wirtschaft stabilisieren.
Publiziert: 06:02 Uhr
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Ein Wahlplakat in Bolivien.
Foto: JORGE BERNAL

Darum gehts

  • Zwei rechtsgerichtete Kandidaten in Stichwahl bei bolivianischer Präsidentschaftswahl. Linke erleidet Niederlage
  • Rodrigo Paz Pereira und Jorge Quiroga treten am 19. Oktober gegeneinander an
  • Inflationsrate in Bolivien liegt bei fast 25 Prozent, Mangel an Treibstoff
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AFPAgence France Presse

Bei der Präsidentschaftswahl in Bolivien ziehen zwei rechtsgerichtete Kandidaten in die Stichwahl, die Linke erleidet nach 20 Jahren an der Macht eine schwere Niederlage. Für eine Überraschung sorgte beim ersten Wahlgang am Sonntag Senator Rodrigo Paz Pereira (57) von den Christdemokraten: Der Mitte-Rechts-Politiker landete laut vorläufigen Zahlen der Wahlbehörde mit rund 32 Prozent auf dem ersten Platz. Hinter ihm kam mit knapp 27 Prozent Ex-Präsident Jorge «Tuto» Quiroga (65) von der Freien Allianz.

Weil kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichte, treten Paz und Quiroga am 19. Oktober bei einer Stichwahl gegeneinander an. Der ebenfalls rechtsgerichtete Unternehmer Samuel Doria Medina, den Umfragen lange als Favoriten gesehen hatten, kam mit knapp 20 Prozent lediglich auf Platz drei und verpasste damit den Sprung in die zweite Wahlrunde.

Die linksgerichtete MAS-Partei des amtierenden Präsidenten Luis Arce und seines Vorgängers Evo Morales (65) wurde nach 20 Jahren an der Macht abgestraft. Arce selbst war nicht mehr angetreten, der an seiner Stelle für die Regierungspartei MAS (Movimiento al Socialismo, Bewegung hin zum Sozialismus) angetretene Eduardo del Castillo (36) landete bei der Wahl weit hinten.

Schwere Wirtschaftskrise

Die Wahlen fanden inmitten einer schweren Wirtschaftskrise in dem Andenstaat statt. Die Inflationsrate liegt bei fast 25 Prozent, es herrscht ein Mangel an Treibstoff und ausländischen Devisen.

In der bolivianischen Bevölkerung ist der Wunsch nach einem grundlegenden politischen Wandel weitverbreitet. «Wir erleben eine enorme Krise, und wir brauchen eine Veränderung», sagte etwa die 62-jährige Alicia Vacaflor, eine Importeurin von Industriemaschinerie, nach ihrer Stimmabgabe in einer Schule in La Paz.

Politikexperten vergleichen die Situation in Bolivien mit der im Nachbarland Argentinien, wo die Wähler 2023 inmitten einer schweren Wirtschaftskrise die langjährige Regierung der linksgerichteten Peronisten beendet hatten. Zum Präsidenten gewählt wurde dort damals der ultrarechte und radikal marktliberale Javier Milei (54).

Bruch mit Linkspolitik

In der Amtszeit von Morales (2006-2019) – dem ersten indigenen Präsidenten in der Geschichte des Landes – hatte Bolivien zwar mehr als ein Jahrzehnt lang ein starkes Wirtschaftswachstum erlebt. Der Linkspolitiker verstaatlichte den Gassektor und investierte die Einnahmen in Sozialprogramme, wodurch die extreme Armut im Land halbiert werden konnte. Zu geringe Investitionen im Gassektor führten schliesslich jedoch dazu, dass die Einnahmen einbrachen.

Bei der Wahl am Sonntag versprachen viele Kandidaten einen Bruch mit der Linkspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Zu der Wahl waren knapp acht Millionen Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, dabei galt eine Wahlpflicht. Die Wähler hatten zwischen acht Präsidentschaftskandidaten zu entscheiden und die 166 Mitglieder beider Parlamentskammern zu bestimmen.

Neue politische Dynastie?

Der Sieger der ersten Wahlrunde, der 57-jährige Paz, ist der Sohn von Ex-Präsident Jaime Paz Zamora, der Bolivien zwischen 1989 und 1993 regiert hatte. Der in Spanien geborene Politiker will die Staatsausgaben senken, die Korruption bekämpfen und eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für Frauen einführen.

Sein jetziger Wahlgegner Quiroga führte das Land zwischen 2001 und 2002. Der heute 65-Jährige war zunächst Vizepräsident und ersetzte dann den wegen einer Krebserkrankung zurückgetretenen Präsidenten und Ex-Diktator Hugo Banzer. Nach der ersten Wahlrunde am Sonntag sagte Quiroga, er wolle die Wirtschaft stabilisieren und die Inflation bekämpfen.

Ex-Präsident Morales hatte bei der Wahl ebenfalls antreten wollen, das Verfassungsgericht verbot ihm aber eine erneute Präsidentschaftskandidatur. Der selbsternannte Anti-Kapitalist und Anti-Imperialist hatte deshalb seine Anhänger aufgefordert, aus Protest ungültige Stimmzettel abzugeben.

Morales' tiefer Fall

Morales hat sich einer kleinen Ortschaft des Departamento Cochabamba verschanzt, wo er sich von Anhängern gegen einen Zugriff der Justiz abschirmen lässt. Gegen den Ex-Präsidenten liegt ein Haftbefehl vor. Er wird beschuldigt, eine Beziehung zu einer Minderjährigen gehabt zu haben.

Morales genoss während seiner Amtszeit lange grosse Popularität – bis er versuchte, die Verfassung zu umgehen und 2019 eine vierte Amtszeit anzustreben. Er gewann zwar damals die Wahl, trat aber nach heftigen Protesten zurück und floh vorübergehend aus dem Land. Nach dem Sieg seiner Partei und dem Amtsantritt seines ehemaligen Finanzministers Arce als Präsident im Jahr 2020 kehrte Morales nach Bolivien zurück.

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