Ein Jahr am einsamsten Ort der Welt. Der Berner Thomas Schenk (32) lebt und arbeitet in der Antarktis – ohne die Möglichkeit, zu gehen. Aufgrund der Wetterbedingungen können in den Wintermonaten weder Flugzeuge landen, noch Schiffe anlegen. Schenk ist Teil eines neunköpfigen Teams, das für die Überwinterung der deutschen Polarforschungsstation «Neumayer III» zuständig ist.
«So richtig gefroren habe ich schon lange nicht mehr», sagt Schenk. Gute Kleider halten ihn bei Aussentemperaturen von minus 30 Grad warm. «Es fühlt sich nicht so kalt an, wie es tönt.» Die Kälte in der Antarktis sei trocken und lasse sich nicht mit europäischer Kälte vergleichen. T-Shirt und kurze Hosen vermisse er manchmal aber schon.
Das Antarktis-Team
Sein Team besteht aus neun Personen. Vier davon sind Wissenschaftler, zuständig für Geophysik, Meteorologie und Luftchemie. Drei Techniker kümmern sich um IT und Funk, Elektrotechnik und Mechanik. Eine Ärztin und ein Koch ergänzen das Team. Die drei Frauen und vier Männer sind zwischen 26 und 45 Jahre alt.
Schenk ist gelernter Baumaschinenmechaniker und studierter Maschinenbauingenieur. Während der Überwinterung ist er der technische Leiter der Polarstation. Der Aufgabenbereich ist gross: Zu dritt sind sie für die Wartung und Funktion der gesamten Station zuständig. «Bei diesen Temperaturen geht relativ viel kaputt», sagt er. Bei Reparaturen sei oft Kreativität und Improvisation gefragt: «Wir haben viele Ersatzteile vor Ort. Meistens geht aber genau das kaputt, was wir nicht hier haben.» Flicken konnte er bisher aber alles, vom Pistenbully bis zu Sanitärleitungen.
Schenk und sein Team sind in der nördlichen Küstenregion stationiert. Weil die Schneemasse dort ständig zunimmt, müssen sie die auf 16 Stelzen stehende Polarstation jedes Jahr um 1,5 Meter erhöhen. «Sonst würde die Station irgendwann im Schnee versinken», erklärt der Berner.
«Man ist extrem eingeschränkt hier»
Die Antarktis biete jeden Tag neue Überraschungen. «Manchmal fühle ich mich wie in einer Schneekugel. Mein ganzes Leben dreht sich um diese Station herum», so Schenk. Die Herausforderung sei für ihn die Isolation: «Man ist extrem eingeschränkt hier. Unsere Station ist für rund neun Monate von der Welt abgeschnitten. In dieser Zeit müssen wir als kleines Team agieren und funktionieren.»
Eine gute Vorbereitung sei daher wichtig. Seine Teamkollegen habe er bereits vor dem Antarktis-Abenteuer kennengelernt und vier Monate lang mit ihnen in einer grossen WG in Bremerhaven (D) gelebt. «Wir verbrachten viel Zeit zusammen und wurden intensiv geschult.» So merke man bereits im Vorhinein, ob die Gruppe zwischenmenschlich harmoniert.
Die Stimmung im Team sei auch nach rund einem Jahr gut: «Es ist wie in einer WG. Manchmal führen Lappalien zu kleinen Konflikten. Die können wir aber lösen.» Die Station habe vieles zu bieten, beispielsweise Billard und Dart, eine Bar, eine Sauna und auch sportlich könne man sich mit Basketball, Gewichtheben oder auf den Laufbändern austoben.
«Die Antarktis ist ein riesiger Spielplatz für mich», schwärmt Schenk. In seiner Freizeit verbringt er viel Zeit draussen, übernachtet in einem selbstgebauten Schneebiwak oder besucht die eine nahe gelegene Pinguin-Kolonie.
Thomas Schenk schwärmt auch vom Licht, das anders sei. «Wenn die Sonne auf- und untergeht, entstehen hier Farben, die ich noch nie gesehen habe.» Er fühle sich wie auf einem fremden Planeten: «Alles ist anders. Die Zeit bekommt eine andere Bedeutung, Wochentage spielen keine Rolle.»
Schiff bringt einmal pro Jahr Essen
Dieses Abenteuer habe ihn persönlich verändert. «Ich schaue vieles nicht mehr als selbstverständlich an. Zum Beispiel fliessendes Wasser aus dem Hahn, Vogelzwitschern oder saftige Tomaten.» Frisches Gemüse gäbe es nur in den Sommermonaten, nach dem Eintreffen des Forschungs- und Versorgungsschiffes «Polarstern». Dieses bringe einmal pro Jahr alle nötigen Utensilien wie Essen, Ersatzteile, Diesel und wissenschaftliche Ausrüstung.
Familie und Freunde fehlen dem Schweizer. «Dank Starlink-Internet können wir gut miteinander kommunizieren. Aber es ist nicht das Gleiche, wenn man sich nicht in die Arme schliessen kann.» Dass seine Zeit in der Antarktis nun bald zu Ende geht, sieht man auch seinen Haaren an. «Als ich hier ankam, hatte ich kurze Haare. Mittlerweile kann ich sie zusammenbinden», scherzt er.
Mitte Dezember kehrt er zurück in die Schweiz. «Ich freue mich aufs Heimkommen. Vor allem auf Regen und den Geruch von Wald.» Nach seiner Rückkehr will Schenk einen Bus ausbauen und damit auf Reisen gehen. Zunächste freue sich auf das Weihnachtsfest zu Hause.
Eine Rückkehr in die Antarktis schliesst der Ingenieur nicht aus: «Ich könnte mir vorstellen, nochmals zu überwintern. Für eine neue Erfahrung aber wohl in einer anderen Station.»