Am 24. Februar sollte ich für eine Geschäftsreise nach Kiew fliegen. Ich bin um vier Uhr aufgewacht und habe mich darüber informiert, was in der Welt passiert. Mit jeder Minute wurde mir klarer, dass der Krieg tatsächlich begonnen hatte. Der Flughafen Boryspil in Kiew wurde geschlossen, dann auch unser Flughafen in Lwiw.
Um sechs Uhr hatte ich eine Sitzung im Stadtrat, und am 25. Februar begannen wir bereits, die ersten Vertriebenen aufzunehmen. Gott sei Dank hatten wir einen Monat vorher damit begonnen, Unterkünfte vorzubereiten. Es standen 500 Orte zur Verfügung – an Schulen, Kindergärten, Theatern, Bibliotheken und so weiter.
Seit dem 24. Februar hatte ich keinen einzigen freien Tag mehr, das halbe Jahr war ein einziger langer Arbeitstag. Fünf Millionen Menschen sind inzwischen durch Lwiw gezogen. Zurzeit beherbergen wir 150'000 Ukrainerinnen und Ukrainer, die hier Schutz vor Bomben- und Raketenangriffen gefunden haben. Weil wir weit weg von der Front sind, sind wir eine der sichersten Städte, auch wenn wir beschossen werden und es ständig Luftalarm gibt.
Es sieht so aus, als ob etwa 50'000 Menschen bereit sind, dauerhaft hier zu bleiben, weil sie einfach keinen Ort haben, an den sie gehen können. Entweder sind ihre Häuser völlig zerstört, oder die Stadt ist derzeit besetzt. Wir bauen zurzeit viele Unterkünfte. Ich kann versichern: Niemand wird im Winter frieren müssen.
Da jeden Tag eine grosse Zahl verwundeter Soldaten und Zivilisten zu uns kommt, haben wir uns zum Ziel gesetzt, ein Rehabilitationszentrum zu schaffen, das wir «Unbroken» (unversehrt) nennen. Wir wollen dafür sorgen, dass die Menschen eine Chance auf ein erfülltes, qualitativ hochwertiges Leben haben. In der Ukraine gibt es Millionen von Menschen, die eine psychologische und soziale Rehabilitation oder Prothesen für Arme und Beine benötigen.
Heute ist nicht die Zeit für laute Zeremonien, heute ist die Zeit für harte, tägliche Arbeit. Es ist ein einzigartiger Moment, denn wir kämpfen für unsere Unabhängigkeit.